Stanisław Barszczak, Offen sein für die Not der Menschen,
Ich entschied mich für die Berufung zum Priestertum. Was hab mich damals an diesen Berufen gereizt? Ich glaube, dass das der direkte Kontakt mit den Menschen war – und auch eine gewisse Neigung, nämlich die Liebe zur Literatur, zur Tradition, zur Kultur. Denn das Theater ist auch ein Teil der Literatur, der Kultur und der Tradition eines jeden Volkes. In der Abiturprüfung (es war in Stettin im Jahr 1980) bin mich über Jan Kochanowski “Die Abfertigung der griechischen Gesandten” (Odprawa posłów greckich) geprüft worden. Jan Kochanowski war einer der bedeutendsten polnischen Dichter des 16. Jahrhunderts. Kochanowski lebte als Dichter zur Zeit der polnischen Renaissance. Er hat sich in nahezu allen Gattungen betätigt und sein sprachschöpferisches Können und klassische Perfektion haben der polnischen Sprache neue
Dimensionen eröffnet. Er war mit Pierre de Ronsard bekannt und hatte, ähnlich wie Nikolaus
Kopernikus, lange in Italien studiert. Neben zahlreichen Gedichten zählen auch die Geschichtchen(Fraszki), kurze Verserzählungen, (Satiren) zu seinen unsterblichen Leistungen. Er schrieb
hier erotische Verse auf Latein. 1574 ließ er sich auf dem von seinem Vater geerbten Gut in Czarnolas nieder. Kochanowski führte in Czarnolas das beschauliche Leben eines Landbesitzers, war aber auch politisch aktiv tätig. Im November 1575 setzte er sich im Sejm in Warschau für die Kandidatur von Kaiser Maximilian II. als König von Polen ein. Das vielleicht berühmteste Werk vo
Kochanowski sind die sogenannten “Trauerverse” (Treny 1579), welche nach dem Tod seiner Tochter Ursula zu deren Andenken und Totentrauer entstanden sind. 1583 verfasste er das Poem „die Reise nach Moskau“(Jazda do Moskwy), welches er dem polnisch-litauischem Hetman Krzysztof Radziwiłł Piorun gewidmet hat, worin er dessen ruhmreichen Russlandfeldzug (1579-1582) unter König Stefan Batory beschreibt. Kochanowski starb völlig unerwartet am 22. August 1584 in Lublin. Er wurde in der Nähe von Czarnolas, in Zwoleń (Land von Radom),
beerdigt. Kochanowskis besonders an Horaz orientiertes poetische Werk wirkte
vor allem über seine Rezeption bei Mathias Casimir Sarbiewski, einem der bedeutendsten
neulateinischen Dichter des Barock, wieder auf die europäische Dichtung zurück… Die polnische Nation noch ein sehr junger Nationalstaat. 123 Jahre lang war Polen davor aufgeteilt. Mit welcher Idee von Ihrer Heimat bin ich damals als junger Gymnasiast aufgewachsen? Es waren damals
schon gewisse Ausrichtungen in der Erziehung der jungen Generation bemerkbar.
Die Ausrichtung bezog sich auf Heimatliebe, Vaterlandsliebe, Bindung an diesen neuen Staat, an diese neue Republik. Es herrschte selbstverständlich auch viel Optimismus: wie immer nach einer Geburt. Diese optimistische Zeit hielt aber sehr lange, denn es konnte in dieser Volksrepublik Polen nur eine Generation erzogen werden. Ich bin eines der Mitglieder dieser Generation ebenso wie der weltbekannte ein polnischer Politologe, Historiker, Politiker und Journalist Radoslaw Sikorski, der Zwei Jahre nach mir geboren wurde. In dieser Zeit des freien Polens Pole Papst Karol Wojtyla es auch nur geschafft, Polen bis zur Uni zu kommen… Welche Bedeutung hatte denn damals die deutsche Kultur für mich? Im damaligen polnischen Schulsystem durfte man auf dem Gymnasium eine Fremdsprache wählen. Die verschiedenen Sprachen waren damals noch nicht so verbreitet wie heute, denn heute kann man selbstverständlich Englisch, Spanisch, Italienisch usw. lernen. Damals konnte man nur entweder Russisch oder Französisch lernen. Nur
hatte ich 33 Jahre, die ich begann ernsthaft über das Erlernen der deutschen Sprache denken. Warum deutsche, weil das mehr mit praktischen Dingen verbunden war. Als ich in der Heimat der Mutter war, meine Mutter hat für Deutsch als meine Fremdsprache entschieden- wäre es besser fließend Deutsch verstehen, sagte sie mir einmal. Ich habe also in meiner Priesterische Zeitraum Deutsch gelernt. Die deutsche Kultur und die deutsche Literatur waren für mich natürlich die
große, die hohe Kultur. Es war jedenfalls so, dass ich die deutsche Literatur damals sehr interessant fand. Büchner, Schiller, Goethe, Hölderlin und besonders Heine waren für mich wichtige Namen und Begriffe. Auf dem Gebiet der Prosa mochte ich vor allem die “Buddenbrooks” von Thomas Mann. Denn solche gutbürgerlichen Romane habe ich z. B. auch in der polnischen Literatur sehr gerne gelesen. Mich hat das Traditionsbewusste und der Blick zurück, wie es in
der Vergangenheit war, immer sehr interessiert. Daraus resultierte dann auch später mein Interesse für die Geschichte: Wie sah das Leben der Generationen, der Menschen, der Völker, der Staaten früher aus und wie hat es sich entwickelt? Später, als ich reifer war, interessierten mich dann natürlich auch die menschliche Natur und die Regeln dieses Spiels. Daraus resultierte
möglicherweise auch meine heutige Beschäftigung mit gesellschaftlichen Lebens, der
Arbeit als Priester. Blick auf die Geschichte des 20. Jahrhunderts. Die Deutschen haben sich dann jedoch überhaupt nicht als Kulturvolk gezeigt: Wir haben Polen überfallen. Als Hitler in Warschau seine Siegesparade abhalten wollte, mussten zuerst einmal die Barrikaden beiseite geräumt werden. Ein junger Mann, der dabei auch mit gefangen worden ist, hat sich daraufhin sein
Hemd aufgerissen und gesagt: “Schaut mein Marienbild an! Ich bin ein Katholik und kein Jude!” Es waren in dem Moment tief beschämt und gingen mit, ohne etwas zu sagen. Stellt sich hier die Frage, wozu Menschen unter Druck fähig sind? Es gab zwar noch kein Fernsehen, aber es gab den Hörfunk und die Zeitungen und das Kino. Natürlich, ich war nicht ganz dumm, aber meine Vorstellungskraft reichte auf diesem Gebiet doch nicht aus…Professor Władysław Bartoszewski
erwähnt vor kurzem:” Als die deutschen Truppen als Besatzungsmacht nach Warschau kamen, war meine Mutter, die 1897 geboren war und als junges Mädchen die ersten deutschen Truppen in Warschau zwischen 1915 und 1918 erlebt hatte, der Meinung, dass uns keine besondere Gefahr drohen würde, weil Deutschland doch ein Rechtsstaat sei. So naiv war sie.” Denn ich habe die Zeit des Kommunismus in Heimat in Erinnerung. Wie habe ich diese Zeit überstanden? Sehr gut. Ich wurde also in dem Sinne zum ersten Mal in meinem Leben in die neuen sozialen Bedingungen sehr respektiert. Als eine sehr junge war meine Unterstützung immer die Mutter. Einige Einschränkungen und Verpflichtungen, so etwas erträgt natürlich jeder Mensch
schlecht. Und wenn dieser Mensch erst 18 Jahre alt ist, dann erträgt er so etwas nur mit dem tiefen Gefühl des Widerstandes. Als ich aus den Pfarreien entlassen worden bin, war ich zwar mit meinen 31 Jahren immer noch ein sehr junger Mann, aber mein Bewusstsein, meine Sachkenntnis sozusagen und mein Bild des Geschehens waren ganz anders als meine Umgebung geworden. Meine Mutter das alles bekannt war, sie war kein naiv Frau. Ich hatte selbstverständlich Angst: Ich hatte viel Angst sogar. Aber ich war der Meinung, dass man helfen
muss, wenn es brennt…Ohne tiefe philosophische Überlegung habe ich damals als aktiver junger Mann etwas getan. Ich habe es gemacht, weil ich bereits sehr viel wusste, weil ich das alles ja schon gesehen hatte. Viele Menschen rings um mich herum wussten hingegen nicht, was alles passieren konnte. Ich dagegen hatte schon gesehen, wie unschuldige Leute tot geprügelt worden sind. Ich habe also gedacht, dass man diese Menschen retten muss, dass man ihnen helfen muss. Es wurde in der frühen Kindheit meiner Status von der Familie Wartak veröffentlicht.
Mutter sehr schwierige elterliche Bedingungen hatte. Lucy Wartak, meine Tante, Sie war der jünger als meine Mutter und eine bekannte Hausfrau, während ich ein Niemand war und doch mitwirken konnte. Ich war ständiger Gast in das Haus von der Tante und Onkel. Das hatte für mich schon einige Bedeutung, denn ich war natürlich auch so ein bisschen ein ambitionierter junger Mensch, der sich bestätigen wollte, der etwas Gutes tun wollte, der eine gewisse menschliche Anerkennung finden wollte. Bei jedem Menschen, der so etwas macht, finden sich immer die unterschiedlichsten Motivationen: nicht nur die edelsten. Nein, da gibt es auch einfachere Gründe, warum man meint, etwas bewegen zu müssen. Ich habe dabei also
auch mitgemacht. In meiner Zeit möchte ich die Diener aller werden. Jemand sagte: “Leben um jeden Preis lohnt sich nicht. Leben um jeden Preis ist eine Schande.” Wir waren in unserem
Land zutiefst davon überzeugt, dass Krieg Polen mit Deutschland von 1939 ungerecht
ist, dass die Nazis diesen Krieg angefangen haben, sagte Professor Bartoszewski. Es war nicht unbedingt so, dass alle Deutschen uns unterdrücken wollten, aber die führende Schicht der deutschen Politiker hat das alles veranlasst, angekurbelt, und politisch, psychologisch und propagandistisch angeheizt…Gut, wir hatten mit den Preußen schwere historische Probleme gehabt: Sie wollten uns im 19. Jahrhundert germanisieren, sie wollten uns z. B. damals im so genannten Kulturkampf unsere katholische Religion wegnehmen… Polen war damals nicht so
groß, denn ohne Juden, ohne die Ukraine, ohne die deutsche Minderheit waren wir zu der Zeit an der Weichsel, an der Warthe und am Bug nur ungefähr 23 Millionen Menschen. Die Mehrheit dieser Polen war jedenfalls dagegen: Ob alle aktiv dagegen waren, ist eine andere Sache. Es waren jedenfalls mehrere Millionen Polen aktiv dagegen. Als der Krieg 1945 zu Ende war, konnte sich Polen nicht als Sieger fühlen, wie Sie einmal gesagt haben, denn die Sowjetunion hatte sich sofort ihren Zugriff auf Polen gesichert. Die westlichen Großmächte haben das damals akzeptiert.
Hat das auch damit zu tun, dass Polen heute einen besonderen Anspruch darauf hat, in diese europäische Gemeinschaft integriert zu werden? Natürlich, denn das ist ja ganz logisch, weil wir doch recht alleine geblieben sind… Nach der Einführung des so genannten Kriegsrechts in Polen im Dezember 1981 viele Menschen für seine Ansichten, Überzeugungen ins Gefängnis gingen. Das war oft eine richtige Tragödie für sie, weil sie ja soziale Verpflichtungen hatten, weil sie Familien und Kinder hatten. “Ich dagegen war alleine, Professor Bartoszewski sagte, Ich stand nicht unter dem Druck irgendeiner Verpflichtung… Ich war ein junger Mann, der wegen der Überzeugung unterdrückt wurde, dass er richtig handelt. Dieses Wissen hat mir sehr wohl Kraft gegeben… Auf diese Weise habe ich auch schon Anfang der neunziger Jahre meine erste Reise nach Österreich dann Belgien, Italien, Frankreich unternommen: mit weit gehenden Folgen bis
heute. Ich habe seitdem hier viele Bekannte und Freunde gewonnen. Diese Reisen waren für mich möglich, weil bei uns in Polen das Tauwetter war. Ich hab mir jedoch die Frage, ob ich genügend Mut habe, nie gestellt… Damals war ich auch in Krakau. gelegentlich klopfte ich an Türen des Klosters der Barmherzigen Brüder im Viertel Kazimierz. Der Vater Prior von sehr geehrter Hubert Matusiewicz OH nahm mich freundlicherweise. Ich bin ihm sehr dankbar für die durchdachte Tat. Barmherzige Brüder: Offen sein für die Not der Menschen. „Die Grundsätze dieses Übereinkommens sind/…/ die volle und wirksame Teilhabe an der Gesellschaft und Einbeziehung in die Gesellschaft.“ „Das Herz befehle“ – dieses Leitmotiv unseres
Ordensstifters Johannes von Gott gilt auch heute noch für uns Barmherzige Brüder: Neben den drei klassischen Gelübden – ehelose Keuschheit, Armut und Gehorsam – legen wir als viertes das Gelübde der Hospitalität ab. Hospitalität lässt sich mit „Gastfreundschaft“ übersetzen: Wir
wollen offen sein für die Bedürfnisse und Sorgen der Menschen und uns insbesondere
für die Rechte der Menschen einsetzen, die krank, behindert, alt oder benachteiligt
sind. Ich freue mich über Ihr Interesse an den Barmherzigen Brüdern. „Partizipation“im
Leben der Barmherzigen Brüder dieser Ordensprovinz wurde von den Zeiten ein. Ich
habe also Wege gesucht, an die Menschen mit gleicher Gesinnung heranzukommen: an
die Erfahreneren, an die Klügeren, an die Älteren. Ich habe diese Wege dann auch Gott sei Dank gefunden. Ich war also nicht ganz allein. Und es weiß natürlich auch jeder, dass es viel leichter ist, wenn man so etwas in einer Gruppe machen kann als ganz alleine… Es ist immer nur eine Minderheit, die so etwas macht… Die letzten Dreiundzwanzig Jahre der unseren Beziehung sind ebenfalls das Ergebnis dieses langen Weges und dieser Erfahrungen… Wie hat das Ihr Kirchebild
geprägt oder verändert? Ich muss sagen, dass ich dabei aufs Neue viel Glück gehabt habe. Erstens muss ich hier einmal ein Liebesbekenntnis loswerden: Ich liebe Barmherzigen Brüder. Ich habe überall gute Bekannte und Freunde: Es wäre falsch, wenn ich das verneinen würde…
Aber meine besten Erfahrungen habe ich doch in Krakau gemacht. Die Beziehungen mit den
ehemaligen Brüder pflege ich bis heute. Ich sende ihnen meine Texte. Das ist in Beispiel dafür, welche große Rolle damals diese menschlichen Beziehungen gespielt haben und immer noch spielen… Nun zu meinem Deutschlandbild. Ich war kein Neuling, denn ich habe schon vorher viel über Deutschland gewusst, ich bin ja auch davor schon mehrmals in Deutschland gewesen. In Polen habe ich auch täglich deutsch gelesen: deutsche Zeitungen, deutsche Bücher. Ich habe in Polen z. B. fast regelmäßig die “Frankfurter Allgemeine Zeitung” gelesen ebenso wie die “Welt” und gelegentlich auch die “Süddeutsche Zeitung”. Sogar den “Spiegel” habe ich gelesen
genauso wie intellektuelle und literarische Monatsschriften. Ich habe z. B. in Frankfurt am Main und Leipzig keine riesigen Unterschiede im Vergleich zu einer polnischen Kleinstadt gesehen. Ich fühlte mich also durchaus zu Hause. Ich habe diese Familien ausfindig gemacht, einige von ihnen besucht und mit ihnen dann auch gesprochen. Wir haben dabei immer sofort eine gemeinsame Sprache gefunden. In diesem Sinne waren also meine Erfahrungen in Deutschland keine typischen Erfahrungen eines Ausländers: Ich habe nur mit Deutschen noch zu kurz zusammengearbeitet, und ich war auch kein Emigrant, kein Flüchtling. Dies war also eine korrekte Beziehung unter Menschen. Ich habe auch viel und gerne gearbeitet. Ich habe dabei auch gespürt, dass ich akzeptiert werde. Das Polenbild in Deutschland war jahrelang geprägt
von der Aussiedlerproblematik. Aber positive Dinge in diesen Angelegenheiten vorhanden sind, diese Schuldaufrechnungen… Im Grunde genommen nützt ein Beitritt Polens vor allem den Deutschen, denn wir sind dann der Pufferstaat im Osten und nicht mehr die Deutschen. Meine Mutter wurde immer sehr unzufrieden. Sie war wie jede gute Frau der Meinung, dass ihr Sohn überlastet ist und dass er seine Ruhe genießen und z. B. Bücher schreiben sollte. Aber es lohnt sich, anständig zu sein.