“Abfall für alle”

Stanislaw Barszczak, “Wenn ich einmal reich und tot bin”

Also, Herr Rainald Goetz publizierte Tag für Tag unter der Internet-Adresse “rainaldgoetz.de” ein Tagebuch. “Abfall für alle” hieß das Projekt, ein Abfallprodukt, das mit Perlen erster Güte durchsetzt war. “Abfall für alle”, das Internet-Tagebuch, ist Teil eines umfassenden Projektes: Der totalen Medialisierung des Lebens von heute. “Abfall für alle”. Ich mache es auch, “das geilste Sudelbuch”. Abfall gibts nur an Bürotagen… entstehen dann so Wochenpäckchen. Der großer Schrifsteller hält sich genau an die bürgerliche Lebens und Zeitordnung (“dann war Feierabend, das klingt gut”), die für ihn, den freien Autor, strenggenommen keinerlei Verbindlichkeit hat, aber eben doch dieses Grundgefühl vermittelt, daß ein Montag etwas anderes ist als ein Sonntag, und daß man danach lebt: “Es ist eben die Gegenwart, deren Ganzes, das Ganze der Gegenwart. Was ich, verteilt auf einzelne Teile, sprechen lassen will, zum Sprechen bringen will.” Mal ein Buch machen, mal ein Stück schreiben, mal eine CD produzieren, mal eine Vorlesung halten – das ist das Ganze der Gegenwart aus seinen/ihren Teilen…”Fällt mir ein, wie ich den Tag schreibe, daß mir das bei Rühmkorfs Tagebuch immer oft so abgegangen ist: welchen TAG haben wir denn heute, welchen Wochentag?… Der Wochentag bestimmt doch auf eine Art ganz extrem das Grundklima der Zeitordnung, in der man sich irgendwie so eingeordnet, der man sich zugehörig fühlt. Ich bin Dienstag heute.” (Rainald Goetz über die Steinzeit der elektronischen Welt) Herr Maxim Biller erwiderte eimal auf eine Frage: geben Sie eigentlich gerne Interviews? “Früher mochte ich das eine Zeit lang gerne, dann fand ich es ok und inzwischen finde ich es extrem unangenehm. Ich finde, dass man als Autor schon so viel von seiner Seele preisgibt in den Texten, die man schreibt. Warum soll man dann auch noch drüber reden? Es macht auch keinen Spaß, zumindest, wenn man es ehrlich macht.” -Für wen schreiben Sie?  Ich schreibe, weil ich nicht anders kann… Ich denke nicht an ein Publikum. Kein Künstler denkt an sein Publikum. Er ist sehr bei ihm. – Ist es denn ein Drang, ein Trieb auf Papier?  So dramatisches Wort. Es geht halt nicht anders, wenn ich es nicht mache, dann fehlt mir etwas… Aber sehen Sie? Warum muss ich Ihnen das erzählen? “Sie sind ja nicht meine Therapeuten”, sagte er. Fehlt mir etwas auch. Ich surfe gern im Internet. Wissen Sie, “was ich noch blöder finde als Antisemiten? Das Internet. Alles, was mit elektronischen, mit Computern, Handy-Kameras und so zu tun hat, ist so absurd! Ich benutze alles. Nicht, dass Sie denken, ich würde all das nicht kennen. Eben weil ich es kenne, weiß ich, dass das so eine geniale Zeit-Totschlag-Maschine ist. Das ist das Opium für’s Volk.” Na ja, ich gucke fern, seit ich zehn bin. In dieser Wohnung stehen ein Fernsehen, das meiste weiß ich aus dem Fernsehen und nicht aus Büchern. Das deutsche Fernsehen, mit dem ich groß geworden bin, war ja bis vor wie vielen Jahren wahnsinnig gut – bis das private Fernsehen kam und wirklich alles zu verändern begann. Als ich mit 15 Jahren ein Buch von einer Schule Bibliothek brachte, von Raum zu Raum, und ich bin der Henrik Sienkiewicz, Stefan Żeromski, Victor Hugo, Joseph Conrad gelesen, dann meine kleinen Texte im Kalender geschrieben habe,  da ist mir der Atem stehen geblieben. Der Tod hat keinen Kalender. Da hatte ich zu leben. Ich wurde ein Schriftsteller. Immer noch bin ich im Urlaub im Leben. Und jetzt ist es auch mir meine Reise in die Welt beschreiben. Ferien für immer. Die angenehmsten Orte der Welt. Leser, die nicht schreiben sondern lesen, konsumieren oder zuhören ein Interesse an meiner Person haben. Und dann kommt es immer wieder vor, dass ich von einem Buch höre, dann lese ich das und vielleicht packt es mich…. Alle Texte, die ich in den letzten Jahren für Zeitungen geschrieben habe, waren immer aus einem persönlichen Blickwinkel heraus. Ich erzähle von mir und von dem, was mir wichtig ist. Ich war als Kind dreizehn Jahre in Ząbkowice zu Hause, dann 20 Jahre in Czestochowa, als junger Erwachsener. Ich bin dann aus privaten Gründen nach Olsztyn gegangen und ich war seit zehn Jahren nicht mehr in Czestochowa. Ich habe auch schon Bücher geschrieben, die von Czestochowa gehandelt haben, zwei davon habe ich in English und Deutsch geschrieben, weil mir Sprachen gefehlt haben. In der Literatur ist es so, dass sich der Leser beim Lesen immer sagen können muss: ja, genau, das erlebe ich auch, das ist auch mein Gefühl. -Sie sagen, es gibt in Polen keine Literaturkritiker, die Sie… Zum Beispiel in Deutschland von heute da gibt es Reich-Ranicki, der ein großer Literaturkritiker ist, aber nie junge Literaturkritiker herangezogen hat, die genauso ein Format gehabt hätten, wie er. Dann halte ich, dass in Polen Ignacy Chrzanowski, Juliusz Kleiner, Julian Krzyżanowski, für eine große Kritiker waren, genauso Herr Johannes Blonski, wenn er mal eine Literaturkritik schrieb. Und Frau Maria Janion ist eine toller Literaturkritikerin, finde ich. Diese drei, vier erzählen von Literatur. Sie sind nicht Buchhalter einer Meinung, zu der sie sich auch noch nicht mal richtig durchringen wollen, weil sie Angst haben, irgendjemand zu verletzen, oder im Gegenteil, weil sie Angst haben, jemandem zu sehr zu loben.  -Lesen Sie die Kritiken, die über Ihre Bücher geschrieben werden? Ja. Alles andere wäre gelogen. Aber oft überfliege ich sie nur und ich vergesse vieles… -Gab es denn auch mal eine Kritik, die Sie bereichert hat, was Ihr eigenes Schreiben anbelangt? Nein. “Weil die negative Kritik lehne ich ab und die positive ist mir unangenehm”.  Der Mensch hat doch keine Befindlichkeit. Ein Mensch fühlt sich, oder er hat ein Gefühl, sagte Maxim Biller. “Ich bin wahrscheinlich sehr anachronistisch”, ich habe immer darauf bestanden, die Welt aus meiner Sicht zu sehen, was ganz normal ist für einen Schriftsteller. In der Literatur ist es so, dass sich der Leser beim Lesen immer sagen können muss: ja, genau, das erlebe ich auch, das ist auch mein Gefühl, sagte Maxim Biller.- Ist so eine CD näher an Ihnen dran, als Ihre Bücher?  “Ja, ich habe die geliebt, weil die so nah an mir dran war. Vor einer Lesung bin ich nie nervös, aber vor war ich drei Wochen lang todesnervös. Es hat mir dann aber tausend mal mehr Spaß gemacht hat, vor Leuten diese sechs, sieben Lieder zu singen, als in einer Buchhandlung zu lesen. Beim Singen war ich näher an mir selbst. Aber: wenn Sie mir sagen würden: du darfst entweder nicht mehr spielen oder nicht mehr schreiben – dann würde ich sagen, verzichte ich lieber auf das Spielen. “(resp. Interview mit Maxim Biller, 2005) Ich weiß nicht einmal persönlich alles, weil ich ein Anliegen habe – in der Zeit der Stagnation, und jetzt in der Zeit der Militarisierung des Bewusstseins: “Wenn ich einmal reich und tot bin…? Ich möchte zu schreiben, ein Superkonkret Buch komponieren, nicht malen, das der Wahrheit und schönes Schreiben in der Sonne wäre. Dies ist mein Traum in den Dienst der Menschen.

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