Die Liebe der Kirche

Stanisław Barszczak, Die Kirche war immer der Mann

War das für Sie als Holocaustüberlebende eine besondere Verpflichtung, weil Sie Ausgrenzung am eigenen Leib erfahren mussten? Channa Birnfeld, Zeitzeugin und Holocaust-Überlebende im Gespräch mit Dr. Sybille Krafft spiegelte sich auf diese und andere Fragen. Wir durften nicht mehr in die Schule gehen, meine Geschwister, die auf der Universität waren, mussten die Uni verlassen. Allerdings hatten Sie dann das große Pech, dass die Kühe, die sie hatten, einer Epidemie zum Opfer fielen. Da es dort nicht für sie alle Arbeitsplätze gab, haben sie sich getrennt: Jeder versuchte irgendwo, irgendwie auf eigene Faust Arbeit zu finden…-Was wussten Sie denn damals überhaupt von Nazi-Deutschland? -Die Reichspogromnacht vom November 1938 war ja schon längst vorbei: Wie viel wussten Sie? Wussten Sie, wie bedroht Sie sind? Ich muss Ihnen gestehen, dass ich damals mit meinen 18 Jahren sehr unbedarft gewesen bin. Dort in dieser Gegend der Welt haben damals die 18-Jährigen nur sehr wenig Zeitung gelesen. Und wenn sie Zeitung gelesen haben, dann hat sie natürlich nur die Berichterstattung über Kino und Theater interessiert. Aber wir wussten doch, dass es schlimm um uns steht. In das Haus, in dem wir wohnten, kam nun auch eine Familie aus Österreich, eine jüdische Familie, die aus Österreich geflüchtet war. Das Wort “Flüchtling” gab es also bereits bei uns. Aus meinen jugendlichen Erfahrungen ich erinnere mich wie zu Ząbkowice in den 1970er Jahren im vergangenen Jahrhundert dieRückkehrer aus dem Osten, aus Weißrussland, Litauen angekommen sind. Sie lebten in der Nähe von uns, und ich hatte das Bild von einigen der Leute-Pilger. Karaimowie, deren Geschichte ich vor fünf Jahren in Trakai in Litauen traf, erinnerte mich die Geschichte dieser Menschen. Alles war breit, danach umfangreich, auch die Spuren aus Russland in eine neue Eisen und Stahl Huta Katowice, der mit große Anstrengung von Mitteln und Kraft menschlichen gebaut worden ist. Horizont war immens, der am Konklave Polnischen Papstes in Oktober 1978 gab. Ich persönlich las dann mit Aufmerksamkeit die viele Zeitschriften und Zeitungen, beobachtete gute Filme und Theater in der polnischen Fernsehen. Aber zurück zu der Geschichte über das Leben der Mrs. Channa.- Und dann kam der Tag, an dem die deutsche Wehrmacht einmarschiert ist: Das war der 19. März 1944. Können Sie sich noch an diesen Tag, der Ihr weiteres Leben so verändert hat, erinnern? Ich kann mich noch sehr gut an diesen Tag erinnern. Es gab teilweise eine Euphorie, die aber nicht sehr weit verbreitet war. Vor allem aber waren wir bedrückt, und wir Juden sowieso. Denn wir fürchteten uns vor dem, was nun kommen würde. Wir hatten ja bereits seit 1940 unter dem ungarischen Regime genug gelitten, denn wir hatten z. B. von den höheren staatlichen Schulen abgehen müssen: Für uns war dann extra ein jüdisches Gymnasium errichtet worden. Wir hatten also ganz schlechte Vorahnungen als die Deutschen einmarschierten. In meinem Leben war so ein besonderer Tag ein Sprung-Umzug von Mom und mich nach Krakau, Kozłówek, am 20. März 1991.- Bevor Sie ins Getto gekommen waren, Dr. Sybille Krafft Holocaust-Überlebende fragte, hatten Sie ja all Ihre Habseligkeiten und Ihr Eigentum zurücklassen müssen. In diesem Ghetto blieben Sie jedoch nur drei Wochen, und dann kam der große Transport. Ja. Wie war das? Wohin ging dieser Transport, wohin dachten Sie, dass Sie gebracht werden mit Ihrer Familie? Wir dachten nicht wirklich konkret nach, jedenfalls zumindest ich nicht. Man hat stattdessen einfach so in den Tag hineingelebt und hat gehofft und gehofft und gehofft. Aber eines Tages wurden wir eben doch zu Fuß zum Bahnhof geführt: Dort mussten wir in Viehwaggons einsteigen. Wir waren sehr, sehr viele Menschen jeweils in diesen Viehwaggons. Vier Tage und Nächte dauerte diese Fahrt, ohne dass wir gewusst hätten, wohin es geht. Als wir an die Grenze kamen, kam an dieses kleine Fenster am Viehwaggon ein ungarischer Zöllner und sagte zu uns: “Wenn ihr noch irgendwelchen Schmuck habt, gebt ihn mir, denn das wird euch sowieso alles weggenommen.” Nun ja, das war schon ein ganz schlechtes Zeichen. Die Fahrt ging Tag und Nacht weiter und eines Nachmittags sind wir dann irgendwo angekommen. Wir mussten im Waggon bleiben, in diesem Waggon waren zwei Kübel, je einer links und rechts. Sie waren schnell voll geworden, waren inzwischen übergelaufen. Und sie stanken natürlich grausam, das ist klar. Erst als es dunkel wurde, wurden dann die Türen aufgerissen und es hieß: “Los! Los!” Dort habe ich zum ersten Mal dieses Wort “los!” gehört. Wir hatten zwar in der Schule Deutschunterricht gehabt, aber das Wort “los!” hatten wir nicht gelernt.  Als diese Transporte damals stattfanden, hat man ja innerhalb weniger Monate insgesamt an die 500000 ungarische Juden deportiert. Lieber Leser, wenn ich war in Ząbkowice eines Tages ich besuchte eine Frau, Maria, der auf die Pfarrei in Ujejsce wohnte, und sie sprach mit mir über seine Rückkehr solche Wagen am Ende der Hitlerische Besatzung in Polen nach Hause. Die Lage war sehr ähnlich.- Das waren gerade mal sechs Wochen! -Diese Menschen wurden in die Deportationslager, in die Vernichtungslager deportiert. Aber diese Lager waren ja ohnehin bereits übervoll, sodass ein Großteil der Ankommenden sofort weiter in die Gaskammern getrieben wurde.-Laut Statistik wurden 87 Prozent der ungarischen Juden sofort ermordet. Was ist mit Ihrer Familie bei der Ankunft passiert?- Wie gesagt, es hieß “Los! Los!” und wir sprangen aus dem Waggon. Sofort mussten wir uns aufteilen, die Frauen nach links, die Männer nach rechts. Und dann kamen so merkwürdige Gestalten in Pyjamas an und stupsten uns hin und her. Wir wussten nicht sofort, was sie meinten, bis uns klar wurde, dass wir uns in Fünferreihen aufzustellen hatten. Wir marschierten also in Fünferreihen los und diese Leute in den Pyjamas sagten, wenn sie Frauen mit kleinen Kindern sahen, zu uns auf Jiddisch: “Gib dein Kind deiner Mutter, gibt dein Kind deiner Schwiegermutter!” Die Frauen verstanden nicht, warum und weshalb sie das tun sollten, aber es herrschte einfach Panik und alles musste ja schnell, schnell gehen. Also machten sie, was ihnen diese Pyjama-Menschen sagten. Wir marschierten also in Fünferreihen, wobei es zufälligerweise so war, dass ich links in der Reihe marschierte und rechts von mir waren meine Mutter und meine Schwester und zwei mir unbekannte Frauen. Als wir im Dunklen dort vorne ankamen, wartete unter einer Laterne ein SS-Offizier auf uns. An mehr kann ich mich jedenfalls nicht erinnern. Dieser SS-Offizier guckte in unsere Gesichter: Ich war ja jung und stand links in der Reihe. Mich schickte er auf die Seite, während die anderen vier weitergehen mussten. Meine Schwester hatte aber das Gefühl: “Das Kind” – damals war ich für sie noch ein Kind – “hat bestimmt Angst in dieser Dunkelheit.” Deswegen drehte sie sich nach einigen Schritten nach mir um: und zwar hinter dem Rücken meiner Mutter. Dabei fiel das Licht der Laterne auf ihr Gesicht: Sie war blond und jung und hübsch, woraufhin dieser SS-Mann zwei Schritte nach vorne machte, sie am Ellenbogen fasste und auf meine Seite zog. Dann hörte ich, wie jemand meinen Namen rief: Ich drehte mich um und sie lief mir einfach hinterher. Später hat sie mir dann erzählt, dass unsere Mutter in diesem Moment gesagt hat: “Ja, wohin bringen Sie denn die beiden? Das sind doch meine Töchter!” Sie bekam zur Antwort: “Das macht nichts, morgen siehst du sie wieder!” So hatte ich jedenfalls das große Glück, dass ich meine Schwester an meiner Seite hatte.- Was haben Sie gedacht, was mit Ihrer Mutter und mit Ihrem Vater geschehen ist? Und wann hatten Sie Gewissheit, was mit ihnen passiert war? Gar nichts habe ich gedacht, denn man konnte sich einfach nicht vorstellen, dass man da an etwas sehr, sehr Schlimmes denken muss. Nach zwei Tagen fragten wir dann aber unsere Blockälteste: Sie zeigte nur mit dem Daumen nach oben. Wir fragten sie, was diese Handbewegung bedeute. “Na ja, sie sind durch den Schornstein gegangen”, gab sie uns zur Antwort. Wir erwiderten, dass doch kein Mensch durch den Schornstein passt. Daraufhin sagte sie: “Ja seid ihr denn verrückt? Die sind verbrannt worden!” Sie wurden dann zusammen mit Ihrer Schwester und Ihrer Tante im Frauenteil von Auschwitz-Birkenau untergebracht. Das, was Ihnen dort alles passiert ist, wie man untergebracht war, welche “Verpflegung” es gegeben hat, ist bereits häufig geschildert worden. Was war unter all diesen schlimmen Umständen für Sie das Schlimmste? Am Anfang war das Schlimmste, dass wir unten auf der Pritsche lagen. Wir durften ja nur einmal am Tag für wenige Sekunden auf den Lokus gehen. Da wir Frauen dort in den Baracken ohne Unterwäsche leben mussten, passierte es eben, dass von oben “Wasser” nach unten lief. Später gelang es uns dann, nach oben in die oberste Pritsche zu kommen. Das war eine große Erleichterung für uns beide. Am schlimmsten aber war, dass wir dann anfingen, tatsächlich Angst zu haben, und zwar richtig Angst. Es gab Selektionen, bei denen es hieß: “Los! Los! Raus!” Wir hatten Angst, dass man uns unsere Schuhe stiehlt, denn wir wussten: Ohne Schuhe sind wir verloren!- Eines Tages im Mai 1944 musste Ihre Familie dann ins Getto nach Klausenburg. Was hat das für Sie bedeutet? Das war etwas Schreckliches, das war furchtbar. Früh am Morgen wurden wir abgeholt: Wir mussten alles zurücklassen, mussten sogar noch den Schlüssel ins Türschloss stecken. Wir wurden auf einen Lieferwagen verladen und fuhren durch eine kleine Straße. Dabei saßen wir oben auf diesem offenen Lieferwagen und ich sah auf einmal eine Frau. Heute sagen wir “Roma”, damals nannten wir solche Frauen “Zigeunerinnen”. Sie hatte eine Pfeife im Mund. Als sie uns nachschaute, wischte sie sich die Tränen aus dem Gesicht. Ich dachte mir: “Oh weh, oh weh, wenn sie unseretwegen weint, was wird uns dann erwarten?” Ich hatte also ein ganz schlechtes Gefühl und hatte eine ganz negative Erwartung. Lieber Leserinnen. Vor kurzem habe ich bei der Beerdigung gesehen der junge gesehen, der schrie über dem Grab des die Großeltern. In meinem Leben hatte ich licht Angst immer, über die Zukunft, aber sogar heute… Dies ist noch nicht gut, okay, die Kirche in diesen Zeiten, sie auch nicht helfen mir kann, um dieses Gefühl zu überwinden. -Na ja, dieses Getto bestand nicht aus Häusern, sondern das war eine ehemalige große Ziegelei: Man wusste schon, dass man uns dort nicht lange halten werde. Das war schrecklich: Es gab nur ein Dach und ansonsten war dort alles offen. Einige Mütter haben dann versucht, mit irgendwelchen Laken die Seiten des Gebäudes abzudichten…Und dann kam eines Tages endlich die lange ersehnte Befreiung. Wie haben Sie diesen Tag erlebt, mit welchen Gefühlen? Am Nachmittag hörten wir ein merkwürdiges Geräusch und öffneten deswegen die Tür: Das war der erste amerikanische Panzer! Der Panzerfahrer sagte zu uns: “Ihr seid frei! Aber der Krieg ist noch nicht zu Ende. Geht bloß nicht raus.” Wir haben weder gesungen noch getanzt noch irgendwelche Freudenausbrüche gehabt. Es war wohl ein Stein gefallen von unserer Seele, aber diese Ungewissheit, diese Apathie, die in uns steckte – denn wenn man so sehr hungert und friert, wird man einfach apathisch, hat in uns keine große Freude aufkommen lassen…Wir waren aber ohnehin nicht auf die Leute neugierig, sondern auf etwas anderes. Ich weiß nicht, ob ich das erklären kann: Wir wollten uns lediglich versichern, dass die Welt wirklich noch besteht, dass es noch Häuser gibt, dass es noch Vögel gibt, dass es überhaupt noch Menschen gibt, dass die Welt eben nicht untergegangen ist mit uns. Das hat uns viel mehr interessiert…Wie schwer fällt heute die Erinnerung nach so vielen Jahren? Die Erinnerung an was? An Ihre Lagerzeit, an Ihr Leben, das eigentlich ganz anders hätte verlaufen sollen? Ich habe diese Zeit im Lager jahrzehntelang verdrängt. Das ging so lange, bis ich schließlich überredet wurde, doch einmal mit nach Dachau zu kommen, um diesen sogenannten Gedenkmarsch mitzumachen. Zu diesem Gedenkmarsch kamen so viele Leute, ältere Leute, aber auch so viele junge Leute und marschierten mit uns und suchten das Gespräch mit uns. Dies hat dann bei mir sozusagen eine Tür geöffnet: Seitdem fange ich an, auch darüber zu sprechen. Wir haben nämlich auch untereinander Jahrzehnte lang nicht darüber gesprochen. Wir wohnten zusammen in einer Familie und alle Familienmitglieder waren im Lager gewesen, auch die Freunde um uns herum waren im Lager gewesen, aber wir haben niemals darüber gesprochen. Wir alle hatten das unausgesprochene Gefühl: “Das ist vorbei! Schluss!” Wir gaben uns wirklich Mühe und wir redeten uns ein, dass wir genauso normale Menschen wären wie alle anderen auch. Aber das stimmte nicht. Wir haben eben doch einen “Tick” mitgenommen aus dieser Zeit, wie Channa Birnfeld, Zeitzeugin und Holocaust-Überlebende im Gespräch mit Dr. Sybille Krafft gesagt hatte. Diese Gefühle der Krieg hatte ich auch in Friedenszeiten. In meinem Leben habe ich gegangen West Polen ze sehen, meine Heimat. Nach Jahren wieder Szczecin, Rzepin angezeigt. Breslau, damals gab es sehr große Rüstungsbetriebe. Wie war denn dann, als ich befreit war, der erste Kontakt mit der Bevölkerung, mit der Kirche? Wenn ich kam, da war schon bereits eine Kirche. Deshalb möchte ich ihm treu bis zum Ende meiner Tage bleiben. Ich bin davon überzeugt, dass das Leben ist langweilig, aber die Literatur, die Geschichte von Kirche ist nich langweilig. Dr. phil. Christoph Quarch sagte: Schon lange beschäftigt mich die Frage nach dem Glück. Und dabei habe ich mir irgendwann überlegt: Wie wäre es, wenn wir unser ganzes Leben so leben könnten wie Verliebte, wie ein verliebter Mensch? Mit einem offenen Herzen, mit der Begeisterungsfähigkeit eines Verliebten, der die Welt in einem anderen Licht sieht, der sich an der Welt erfreuen kann und der darin glücklich wird. Wir verlieben uns ins Schöne; und das Schöne wird dadurch schön, dass wir uns in es verlieben. Wenn ich in meinen Büchern für eine Kultur der Schönheit werbe, dann geht es mir dabei um eine Lebenspraxis, die es bewusst darauf anlegt, Schönheit zu inszenieren, Schönheit im Leben zu integrieren; um dadurch ein Feld zu schaffen, das uns öffnet – das Herz bereit macht und aufbricht. Damit wir uns dann auch tatsächlich verlieben können. Das körperliches Lebenskunst eines Mannes heißt nicht, über das Leben hinauszukommen in höhere Bewusstseinssphären, wo wir eine Alleinheit erfahren. Auch solche Erfahrungen sind wichtig, aber sie sind nach meinem Ermessen nicht das Entscheidende für unser Glück hier und jetzt. Zu diesem Glück braucht es das liebende In-Verbindung-Treten mit der Welt in ihrer Konkretion und Paradoxie: mit anderen Menschen, mit der ganzen Natur, mit der Schöpfung, mit allem was ist. Der Weg dahin bedeutet vor allem: die Schönheit in alledem erkennen – die Schönheit, die uns ja sagen lässt, zu dem, was uns dort begegnet. Und in dem Maße, in dem es uns gelingt, zum Leben und zu uns selbst ja zu sagen und mit uns und der Welt im Einklang zu sein, in dem Maße sind wir glücklich. In diesem Sinne meine ich, dass der Liebe Weg ein spiritueller Weg ist, der uns mit unserem menschlichen Potential in Verbindung treten lässt und es zur Blüte bringt. Ein blühender Mensch ist das, was mir als das Ziel eines körperlichen Lebenskunst  Lebensweges vor Augen steht. aus der Vergangenheit erinnern wir wieder einmal nur gestohlene Gärten unseres Bewusstseins, und Ich würde Ihnen über sie sagen, in der Zwischenzeit. Über das, wie der junge Jesus in der Tür stand, spielte er auf der Straße, berühren ihre Hände diese Steine, kletterte, näherte sich die Berge, nach diesen Hügeln von Nazaret…Ich will zeigen, dass ich etwas für Menschen wichtig. Zeit lief, Ewigkeit erwartet. Jeder hat das, was er mindestens abhängt, ein Los denn gibt einem anderem, was man wünscht, die meisten . Genug für heute, die Rede von Herzen fertig ist.

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