Heimatgefühl

Stanisław Barszczak, Mein Heimatgefühl

(der 31. Jahrestag des polnischen Aufstandes im August und der Geburt der Solidarność)

Als ich klein war, kleidete ich sehr oft Mutter eine ArbeitsSchürze, stand ich an dem kleinen Tisch mit einem Glas Kelch, kletterte auf einen Hocker und hielte zu meiner Mutter die Predigt, feierte fast die gesamte Messe. Wir sprachen über lange nach dieser Momente unseres Lebens, also im Jahr der Solidarität, wie bleibten wir auf einem Posten, auf “Trockenmasse” an, in der Nähe der Kirche in unserer Stadt. Das war dann auch endlich eine Rolle, in der meine Mutter mich gerne gesehen hat. Sie hat sich immer darüber beklagt, dass ich im Kirche selten eine Soutane trage und immer nur so alte Klamotten anhabe. Denn wir hatten ja ein sehr, sehr enges Verhältnis zueinander. Meine Mutter ist Gott sei Dank erst in einem gesegneten Alter gestorben. -Hatten Sie deshalb ein so enges Verhältnis zu ihr, weil Ihre Mutter Sie unter komfortablen Situationen und Umständen alleine erzogen hat? Der Freund hat mich neulich gefragt. Ja, das ist richtig, beantwortete ich. -Ich nehme mal an, dass Ihre Mutter auch Ihre schärfste Kritikerin war.- Ja, sagte ich, das ist auch wahr. Sie war nie so, dass sie mich besonders gelobt hätte. Anderen gegenüber war sie sehr stolz, aber das hätte sie mir gegenüber nie so gezeigt. Mich hat sie eher immer ein bisschen kritisiert. Das ist etwas, das bei Mutter bis heute geblieben ist. Dieses sich standing mehr mit Kritik als mit Lob konfrontieren? Ich weiss es nicht. -Sie machen den Eindruck, als würden Sie immer noch so ein klein wenig an sich selbst zweifeln. Nun ja, ich war nie selbstzufrieden. Ich halte das aber für eine richtige Einstellung bei einem jeden Priester oder auch Bischof, wenn man das so sagen darf. Wenn man nie ganz zufrieden ist mit dem Erreichten, erwächst daraus immer wieder der Ansporn, es besser zu machen, es eines Tages noch ein bisschen besser zu können. So bleibt man dynamisch und entwickelt sich weiter. In dem Moment, in dem man zufrieden ist und sich sagt, “das war doch ganz toll, alles ist doch wunderbar”. Zu viel Grübeln und zu viel Zweifeln kann aber auch lähmend sein. Ich hab bestimmte Phasen im Leben. Und nun kann ich grübeln, aber ich grüble nicht bis zur Selbstzerstörung. Ich habe schon meine Zweifel, aber die sind nicht von des Priestertums, dass ich sagen würde, “ich kann das nicht, das wird eh nichts” usw. Ich fragte mich, ich war nachdenklich manchmal, ob ich in Gedanken diese Frage, das Problem genommen kann. Einer unserer Professoren sagte uns, dass das Priestertum ist auch handeln. Es gibt sicherlich immer den Punkt, an dem ich mich frage: “Kann ich das? Soll ich diese Rolle übernehmen?” Ich sage mir da schon auch sehr oft: “Das kann ich nicht spielen bzw. das sollte ich nicht spielen, weil ich an diese ‘Ecke’ irgendwie nicht herankomme.” Das kommt also schon auch vor. An sich verändere ich mich ja gerne und suche die Ecken auf, die ich in mir noch nicht so gut kenne. Aber es gibt dann eben auch den Punkt, an dem ich sage: “Das ist nichts für mich.” Solche Rollen sage ich dann ab. Ich muss gehorchen sein, müssen ich die Autorität meines Bischofs unterwerfen, sagte ich mir.- Aber Sie lassen sich auch überzeugen, wenn das etwas ganz Neues ist, das zunächst einmal Ihrem Bild von sich selbst nicht entspricht? Nun ja, es gibt sicherlich viele Menschen, die ich dabei frage. Das sind meistens Frauen, das sind Freundinnen, die für mich immer schon meine besten Ratgeberinnen waren – außer meiner Mutter natürlich. Frauen gehen viel mehr auf einen ein und hören einem zu, sagte in einem Interview ein berühmter Schauspieler Mario Adorf. Männer sind meistens mit sich selbst beschäftigt, mit ihrer eigenen Karriere, mit ihren eigenen Problemen. Deswegen suche ich, wenn ich Rat brauche, diesen Rat gerne bei Frauen…Das werde ich oft gefragt. Zuerst einmal war es ja so, und das kann ich eben auch nicht jedem empfehlen, dass 19 Jahre meines Pristertums, bis Mom starb, waren wir nicht von einigen Eide, gerade erst kennengelernt bestmöglich. Meine Mutter lebte nie in einem Haus, das wir in 1995 kauften. Wir sehr respektierten. Uns hat diese lange Wartezeit sicher gut getan, in der wir uns nicht sicher waren oder in der mal der eine wollte und der andere nicht und umgekehrt. Man denkt ja manchmal: “Ach, die Leute kennen dich gar nicht…. Das heißt, wir genossen schon auch mit meiner Mutter privates Leben. Ja, ich genieße es schon sehr, nicht so bekannt zu sein, denn das ist doch ein bisschen bequemer. Der Freund sagte einmal zu mir, trotzdem ist das doch seltsam: -Sie haben eine relativ harte Kindheit hinter sich. Aber diese Kindheit war zwar durch die Beziehung zwischen Ihnen und Ihrer Mutter auch sehr schön, aber sie war auch hart, weil Sie sich “haben durchboxen müssen”. Ihre Mutter hat “geboxt” und Sie haben auch im übertragenen wie im wirklichen Sinne „geboxt”…. Was ist denn Heimat für Sie? Sie leben ja auch oft wochenlang im Hotel oder wandern quasi von einem Hotel ins andere. Haben Sie so etwas wie einen Heimatbegriff? Sie haben vorhin dieses Kinderlied angesprochen: Spielen da Kindheitserinnerungen bei Ihrem Heimatgefühl eine Rolle? Ich sagte ihm: man muss mit so einem Leben leben können, man darf nicht darunter leiden. Deswegen sage ich immer: Ich bin in jedem Hotelzimmer zu Hause. Ich kann mich dort einrichten, ich stelle dort manchmal meinen Computer auf und habe auch immer einen ganzen Haufen Bücher mit dabei. Aber das ist natürlich kein Heimatgefühl. Das eigentliche Gefühl, nun wirklich zu Hause zu sein, stellt sich bei mir doch eher in Rom ein. Mein Heimatgefühl jedoch – wenn ich hier mal diese Unterschiede machen darf – bezieht sich eher auf die Kindheit, bezieht sich darauf, wo ich herkomme, wo ich aufgewachsen bin. Herr Mario Adorf sagte: “Das ist die Eifel, das ist der dortige Dialekt und das sind eben all diese Dinge, aus denen wir letztlich ein Leben lang schöpfen”. Ich sage: Heimat ist, wo meine Mutter betrunken oder nüchtern ist. Sie hat noch nicht genug, nie den Ruhm ihres Sohnes. Eine Autobiographie unter dem Titel: “Da geht ein Mensch”, ist doch immer der Blick auf sich selbst, der nie objektiv sein kann: Da neigt man ganz sicher dazu, sich selbst schöner, besser, gescheiter usw. darzustellen und gewisse dunkle Stellen auszumerzen. Meine Biographie lieber von jemand anderem schreiben lassen würde, von jemandem, der mich besser beurteilen kann als ich mich selbst. -Was können wir Ihnen denn zum Ende dieses Gesprächs wünschen, fragte mich ein Freund. Das Einzige, das zählt, sagte ich. Wenn man älter wird, merkt man, dass die Zeit knapp wird. Das ist das eine und damit hängt aber auch unmittelbar das andere zusammen: die Gesundheit.

Leave a comment