Ich sage, was ich bin, 2

Stanisław Barszczak, Heute Europäer eigenen Porträt 

Sprach Deutschland: im Herbst 2009 sind es 20 Jahre, dass die Mauer geöffnet wurde: “Du, hast du schon gehört? Die Mauer soll auf sein!” Diese Mauer, die im August 1961 gebaut worden war, hat ja Ihr Leben ganz zentral beeinflusst. Man muss dazu sagen, dass ich in Westberlin auf das Gymnasium gegangen bin, weil ich in Ostberlin das Abitur nicht machen durfte: Ich war nicht bei den Jungen Pionieren und nicht in der FDJ gewesen, war nur konfirmiert worden, d. h. ich hatte keine Jugendweihe. Dazu kam, dass mein Vater zwar bei uns in Ostberlin lebte, aber in Westberlin als Zimmermann arbeitete, sodass ich in Ostberlin keine Chance hatte, Abitur zu machen. … Was kannst du jetzt machen, damit du wenigstens ab und zu zufrieden und glücklich sein kannst?” Unter den beruflichen Möglichkeiten, die sich mir dann boten, blieb das Theologiestudium letztlich übrig. Ich muss noch dazu sagen, dass das eine kirchliche Fachschule gewesen ist: Ich hatte ja kein Abitur,konnte daher an keine Universität gehen. Aber das hätte ich als Bausoldat sowieso nicht gedurft. Das heißt, die theologische Ausbildung, die ich dann in Anspruch nehmen konnte, war eine theologische Fachschulausbildung: ohne akademische Ambitionen und ausschließlich bezogen aufs Gemeindepfarramt. Ich hatte die Hoffnung, dass das erstens der richtige Beruf für mich ist, weil ich dabei viel mit Menschen zusammen bin – und das bin ich bis heute sehr gerne. Zweitens wünschte ich mir, dass mir dieser Beruf eine Freiheit und Selbstständigkeit geben würde, die ich in irgendeinem anderen Beruf in einem DDR-Betrieb nicht gehabt hätte. Genau das hat sich dann zum Glück auch ewahrheitet. Nein, das war ein Zufall. Eines Tages kam zu uns in die Samaritergemeinde ein junger Mann mit langen Haaren, einer “Kutte”, so einer Art Weste, und in zerfetzten Jeans. Er klingelte, stellte sich vor und erzählte mir dann, dass er genauso wie ich Bausoldat gewesen sei und nun Bluesmusik mache und dass er mir gerne die Kirche voll mit Leuten machen würde. Man könnte dabei eine Kollekte machen, aber er würde dieses Geld nicht haben wollen, d. h. man könnte dieses Geld für einen guten Zweck verwenden. Das hat natürlich meine Neugierde ein wenig angestachelt, denn welcher Pfarrer möchte nicht, dass seine Kirche voll ist? Er sagte, er würde die Kirche deshalb füllen können, weil er Musik darin machen würde. Aber das ging in der DDR nicht, für Konzerte war die Konzert- und Gastspieldirektion zuständig. Ich sagte ihm also, dass er sich deswegen an diese Stelle wenden solle. Wenn er sich jedoch vorstellen könnte, dass man aus seiner Musik und biblischen Texten irgendeine Form von Gottesdienst zusammenstellen könnte, dann wäre das für mich völlig in Ordnung. Nun, Gottesdienste durften wir ja doch feiern. Die beiden großen Kirchen in der DDR und auch die evangelischen Freikirchen waren die Einzigen, die laut Veranstaltungsverordnung der DDR ihre gottesdienstlichen Veranstaltungen nicht anmelden mussten, die sich ihre Veranstaltungen nicht genehmigen lassen mussten. Alle anderen Veranstaltungen oder gar Demonstrationen durften im Grunde genommen nur von politischen Parteien oder politischen Massenorganisationen, die aber gleichgeschaltet waren, beantragt und durchgeführt werden. Die einzige Ausnahme waren die Gottesdienste. Als wir beide uns dann tatsächlich auf einen Gottesdienst geeinigt hatten, lief das zunächst auch völlig problemlos, bis es unglaublich viele Menschen wurden, Menschen, die alle so aussahen wie Günter Holwas. Damit erregten sie natürlich bei den staatlichen Stellen den tiefen Verdacht, dass in diesem Gottesdienst etwas ganz, ganz Schlimmes passieren müsse.

Das Gefühl das Glücks

Dr. Heiner Geißler Bundesminister a.D., ehemaliger Generalsekretär der CDU sagte: man hat da sehr wohl ein Glücksgefühl, wenn man eine schwierige Tour gemacht hat und dabei Freude, aber schon auch Anstrengung hatte. Ich habe Bergtouren gemacht, bei denen es auch mal haarscharf an gefährlichen Situationen vorbeiging. Meine Söhne und ich haben allerdings immer darauf geachtet, die Grenzen nicht auszureizen. Wir haben stattdessen immer dafür gesorgt, dass wir noch eine Reserve haben, damit man sich nicht retten lassen muss. Ich habe mich auch noch nie retten lassen müssen im Gebirge. Wenn man so eine Tour jedenfalls bestanden hat, dann kann man doch Glücksgefühle empfinden. Aber das ist natürlich nicht das einzige Glück, das man im Leben erfahren kann. Ich habe damals jedenfalls gelernt, dass man ohne Öffentlichkeitsarbeit nichts erreichen kann. Das war mir eine heilsame Lehre: Ich habe das Verhältnis zu Presse und zu den Journalisten nie mehr vernachlässigt. Denn das alles war ja auch unbedingt notwendig für das Funktionieren der Demokratie. Das habe ich damals gelernt. Und ich habe auch gelernt, dass man kämpfen muss. Die Politik ist nun einmal kein “Gesangverein Concordia”, ist noch nicht einmal eine Sportveranstaltung, sondern es geht um das Schicksal von Millionen von Menschen: Da muss gestritten werden! Die Vorstellung von Friede, Freude, Eierkuchen in der Politik ist übrigens ein typisch deutscher Irrtum. Man erlebt doch immer wieder, auch in der jetzigen Zeit, dass in der d  eutschen Publizistik, dass also gerade Journalisten sagen: “Wenn die in der Politik nicht so viel streiten würden, dann würde es uns allen besser gehen!” Das ist eine sehr merkwürdige Einstellung und sie stimmt auch nicht, was die Leute betrifft: Die Leute wollen nur keinen Streit über Personen, über Posten. Aber wenn sich eine politische Partei müht, den richtigen Weg zu finden, die Probleme erkennt und dann auch wirklich an Lösungen arbeitet, dann wird das von den Menschen sehr wohl honoriert. Es gibt ja diesen Spruch: Männer machen Geschichte. – Komischerweise heißt es nicht, Frauen machen Geschichte, obwohl man das aufgrund der Menschheitsgeschichte ja sehr wohl auch sagen kann. – Männer aber machen ja nur insoweit Geschichte, als sie sich mit einer Idee verbinden. In Wirklichkeit ist es nämlich so, dass Ideen Geschichte machen und die Welt verändern. Natürlich brauchen Ideen eine Verkörperung, brauchen Ideen Menschen, die sie weitertragen und versuchen, sie durchzusetzen. Aber alle großen Gestalten in der Weltgeschichte wären nichts gewesen, wenn sie nicht eine Idee gehabt hätten. Diese Idee war das Entscheidende, denn sie war es, die die Menschen faszinierte. Als ich Generalsekretär war, konnte ich nicht sagen: “So, jetzt führen mal andere die Auseinandersetzung!” Nein, das musste ich als Generalsekretär natürlich selbst machen. Und es ging damals in den 80er Jahren, als es um die NATO ging, ja auch wirklich um eine existenzielle Auseinandersetzung mit der Friedensbewegung. Wenn die CDU damals nicht standgehalten hätte mit ihrer NATO-Politik, wenn sie nicht am Nachrüstungsbeschluss festgehalten hätte, dann hätte das einen schweren Schaden für Deutschland und für ganz Europa bedeutet, denn die NATO wäre dann praktisch nicht mehr zu halten gewesen. Das waren in dieser Phase des Kalten Kriegs also schon existenzielle Auseinandersetzungen. Ich habe mich in dieser Zeit halt für die Partei entsprechend gewehrt. Das war anlässlich des 8. Mai 1985, dem 40. Jahrestag der Kapitulation, der Niederlage, wie auch immer man diesen Tag bezeichnen will. Richard von Weizsäcker hat damals von der “Befreiung vom Nationalsozialismus” gesprochen. Willy Brandt hatte damals alle Oberbürgermeister der Städte, die von den Nazis im Zweiten Weltkrieg zerstört worden waren, also von Odessa bis Marseille, nach Nürnberg eingeladen. Diese ganze Zusammenkunft in Nürnberg stand unter der Überschrift “Nie wieder Krieg von deutschem Boden”. Das ist ein absolut richtiger Satz, den ich auch voll unterstrichen habe. Aber das war ja nur die eine Hälfte eines Satzes, den der ganze Satz hieß: “Nie wieder Diktatur auf deutschem Boden, nie wieder darf von deutschem Boden ein Krieg ausgehen.” Diese eine Hälfte des Satzes hatte Willy Brandt weggelassen in seiner Rede. Ich habe als Generalsekretär daraufhin gefragt, warum die da in Nürnberg bei dieser Veranstaltung diese Hälfte des Satzes weglassen. Ich habe daraufhin selbst die Antwort gegeben, dass sie dann z. B. den Oberbürgermeister von Dresden oder Leipzig oder Ostberlin nicht hätten einladen können, denn dort herrschte ja sehr wohl Diktatur auf deutschem Boden. Daraufhin hat Brandt dann gemeint, ich sei der größte Hetzer seit Goebbels, was eine absolut unproportionierte und absolut disqualifizierende Äußerung darstellt. Das waren damals sehr schwere Zeiten: Europa war gespalten, Deutschland war gespalten, Berlin war eingekesselt und wir hier in Deutschland standen an der Nahtstelle zu einer mächtigen Diktatur, an der Nahtstelle zum mächtigsten Imperium der Erde neben den Vereinigten Staaten. Wir haben heute natürlich auch ähnliche Auseinandersetzungen, das ist schon wahr, aber damals war die Bedrohung doch unmittelbarer, die ja auch bis in die Innenpolitik hineinreichte. Infolgedessen war die Debatte z. T. intensiver und heftiger als heute. Ich war eigentlich immer ein Anhänger der Koalition zwischen der Union und der FDP. Aber ich habe auch schon in den 80er Jahren als Generalsekretär gesagt: “Wir dürfen nicht alles übernehmen, was die Liberalen sagen!” Denn letztlich ist das nun einmal eine Klientelpartei, eine Partei, die auf dem Wirtschaftsliberalismus aufbaut, und das kann ja niemals die Philosophie der CDU sein. Ich habe also im Hinblick auf die Koalition mit der FDP eher die Einstellung, wie sie in diesem Spruch ausgedrückt wird: Wenn man seinen Hund liebt, dann muss man ja nicht auch seine Flöhe lieben. In den 80er Jahren hatten wir es allerdings in den Koalitionen auch mit anderen Leuten in der FDP zu tun… Die soziale Marktwirtschaft kannte daher auch keine Ausgrenzung, sondern “Wohlstand für alle” lautete die Parole. Ich denke, aber genauso ist es heute gekommen, weil dieses Wirtschaftssystem, weil diese Wirtschaftsordnung der sozialen Marktwirtschaft durch den globalen Kapitalismus abgeschafft worden ist. Der Kapitalismus verändert natürlich die Welt vollkommen und damit auch die Menschen, die in dieser Welt leben. Ich habe gesagt: “Diese jungen Leute muss man unterstützen!” Natürlich gibt es dort auch radikale Leute, linksradikale Leute, deren Ziele ich nicht für richtig halte. Es gibt dort z. B. auch Leute, die gegen die NATO sind. Aber das ist nun einmal keine politische Partei, sondern ein Netzwerk. Ich bin ja auch Mitglied der katholischen Kirche: Auch in der katholischen Kirche gibt es Radikalinskis. Es gibt leider viel mehr Menschen, die kapitulieren, als Menschen, die scheitern. Es kapitulieren einfach zu viele Menschen, obwohl sie das gar nicht müssten, weil sie sich ja auch durchsetzen könnten, wenn sie genügend Mut hätten. Dazu brauchen sie aber auch ein richtiges Konzept, denn darauf kommt es an: Man braucht immer eine Idee. Und diese Idee muss eben auch geprüft werden an ganz bestimmten wenigen ethischen Kriterien. Ein solches Kriterium besteht z. B. in der absoluten Anerkennung der menschlichen Würde in jeder politischen Entscheidung und gültig für alle Menschen, unabhängig davon, welche Herkunft sie haben, ob sie arm oder reich, alt oder jung, Mann oder Frau sind. Im Grunde genommen müsste die Menschheit einen Aufstand machen, alleine wegen dieser unglaublichen Verletzung der Menschenwürde gegenüber drei Milliarden Menschen auf dieser Erde… Herr Geißler wollte ja eigentlich im Jesuitenorden bleiben und haben einmal erzählt, es gab da drei Gelübde, die Keuschheit, die Armut und den Gehorsam, von denen Sie aber zwei nicht erfüllen konnten. Er war auch froh, dass ich diese Entscheidung getroffen habe. Er sagte: wenn man erkennt, dass man ohne eine Frau nicht leben kann, dann darf man nicht Ordenspriester werden und muss die entsprechenden Konsequenzen ziehen. Ich habe diesen Einschnitt damals wirklich zuerst einmal verkraften müssen: Wenn man als junger Mensch merkt oder erfährt, dass man ein Ideal, das man sich selbst vorgenommen hat, nicht erreichen kann, dass man sozusagen scheitert, dann ist das nicht so leicht. Das war ja eine Aufgabe, mit der ich mein ganzes Leben verbinden wollte. Ja, das war eine ganz schwere Entscheidung, mit der ich zuerst einmal fertig werden musste. Ich habe das dadurch geschafft, dass ich mich darauf konzentriert habe, die Ideen, die ich hatte, auf einem anderen Wege zu realisieren. Ich kann mich für meine Zeit in St. Blasien nicht daran erinnern, dass so etwas auch nur irgendwie gerüchtemäßig eine Rolle gespielt hätte. Von den Lehrern und Patres, die ich in St. Blasien und auch später im Orden hatte, habe ich so etwas nie gehört, geschweige denn persönlich so etwas erfahren. Mir haben damals die Jesuiten auch geholfen dabei, diese Entscheidung zu fällen. Der Orden muss die Menschen auch prüfen, ob sie in der Lage sind, dieses doch sehr große Ideal, diese doch fast übermenschliche Aufgabe erfüllen zu können. Denn das geht letztlich völlig gegen die menschliche Natur, wie man ganz klar sagen muss. Was natürlich überhaupt nicht geht, ist, dass man eine solche Aufgabe selbst Menschen auferlegt, die gar keine Ordensleute werden wollen, also den normalen sogenannten Weltpriestern. Das Zölibat ist der größte Unfug, den die katholische Kirche nun schon 1000 Jahre lang erfunden hat und über Hunderttausende, ja Millionen von Männern gestülpt hat, die mit diesem Problem hinten und vorne nicht fertig geworden sind. Wenn man mit der eigenen Sexualität nicht fertig wird, dann weicht man eben oft aus in pädophile Möglichkeiten; weil man sich an die Frauen eben doch nicht so herantraut, denkt man möglicherweise, dass man das mit Kindern eher machen könnte usw. Das ist jedenfalls eine ganz ungute Geschichte. Der Zölibat muss erstens wirklich beseitigt werden, denn er hat mit der Bibel überhaupt nichts zu tun, denn die waren alle verheiratet. Wahrscheinlich war sogar Jesus verheiratet, ohne dass ich dieses Thema hier aufgreifen möchte. Zweitens müssen endlich auch Frauen Priesterinnen werden dürfen. Wir erleben ja in der evangelischen Kirche, welche Befreiung es für eine Kirche sein kann, wenn man eine Bischöfin, wenn man Pfarrerinnen hat. Das muss jetzt auch in der katholischen Kirche endlich kommen. Was ist denn dabei für Sie der eigentliche persönliche Gewinn? Herr Geißler erwiderte: Das Erlebnis der Freiheit und das Erlebnis, einen wunderbaren Sport ausüben zu können. Das ist ja eine unglaubliche körperliche und geistige Anstrengung, das ist wirklich Hochleistungssport. Das Bergsteigen und die Musik haben dazu geführt, dass es zwischen mir und meinen Söhnen nie zu einer Entfremdung gekommen ist. Stattdessen waren wir im Prinzipiellen immer ein Herz und eine Seele. Sag noch einmal klar: ist es nicht in jedem Orden so, in dem man zölibatär leben muss, dass letzten Endes vielleicht doch Menschen zurückbleiben, die mit ihrer Sexualität nicht so zurechtkommen und wegen dieser Sexualität eben nicht den Orden verlassen.(finis coronat opus)

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