Ich sage, was ich bin, 1

Stanisław Barszczak, Ich liebte immer die biblische Joseph

Es ist ein wunderschönes Kapitel der Bibel (Gen.37-50), es ist fast das emotionalste, eine richtige, literarische Geschichte mit einem Mann, der Tränen vergießen darf, der seine Emotionen zeigen darf. Ich liebte immer die biblische Joseph. Joseph seine Kindheit verbrachte in Kanaan, dann kam er nach Ägypten. Es ist eine Menge geschehen. Los geht es mit seinem Vater Jakob. Joseph ist eine meiner Lieblingsgestalten unter den vielen Lieblingen, die ich im Alten, aber auch im Neuen Testament habe. Doch in dieser Geschichte sind so viele psychologische Probleme enthalten, die uns heute noch berühren sollten. Fangen wir mit den Erziehungsfragen an. Ich stele fest, dass in der Kindheit Josephs, bis hin zu seinem Erwachsenenalter, alle vorstellbaren Probleme auftauchen: Liebe, Hass, Neid, Erfolg und Eifersucht – alles ist da, alles! Wir beobachten heute bei den Opfern des Holocausts, dass das, was der Vater erlebt hat, bei der Erziehung der Kinder durchschlägt. Hier sind es die Erlebnisse Jakobs, die zu dem führen, was man heute modern ein Second Generation Problem nennt, also ein Problem der zweiten Generation. Jakob selbst ist doch in gewisser Hinsicht ein Schwächling gewesen, man könnte ihn auch im Vergleich zu seinem großen, harten Bruder Esau als Spätzünder bezeichnen. Und bei aller Achtung für Jakob muss man doch feststellen, dass es um die Kindererziehung im Hause Jakob schlecht bestellt ist. Dass er es zulässt, dass sich Joseph schon als Kind, als Junge derart aufspielt …Jakob bevorzugt doch den Joseph und freut sich, dass er im hohen Alter noch einmal Kinder bekommen hat. Aber Jakob Joseph bevorzugt, das kann ich verstehen. Es gibt die schöne Geschichte von dem bunten Rock, den Joseph dann bekommt. Seine Brüder ärgern sich darüber sehr und sagen: “Wieso bekommt denn der das? Wir sind doch zuerst da gewesen!” Ehrlich gesagt finde ich, dass die Brüder aus ziemlich grobem Holz geschnitzt sind. Sie waren halt Hirten und Cowboys. Aber Jakob unterstützt ihn. Er hebt Joseph hervor und kauft ihm dieses schöne Gewand. Natürlich gibt es solche Erziehungsprobleme auch heute noch. Die zwölf Brüder, von denen sich die zwölf Stämme herleiten, stammen von vier verschiedenen Frauen ab. Von denen ist eine die große Geliebte, die Rahel. Danach kommt die zweite, die Laban seinem Schwiegersohn Jakob seinerzeit untergeschoben hat, die Lea. Und dann gibt es noch zwei Mägde, die Silpa und die Bilha, die Laban seinen beiden Töchtern mitgegeben hat….In der Bibel spielen die Träume eine große Rolle. Sie sind Visionen. Ich würde sagen, dass Joseph hier ein Vorläufer dafür ist, auch später in Ägypten. Joseph ist imstande, so etwas zu träumen, die anderen Brüder sind dazu nicht in der Lage. Aber die ganze Josephs-Geschichte baut sich in einzelnen Kernszenen auf. Die nächste Kernszene spielt sich auf den Weideflächen ab. Was ist dort passiert? Meines Erachtens macht der Jakob hier wieder einen Fehler. Er will mit aller Macht Frieden erzwingen und schickte den kleinen 16- oder 17-jährigen Joseph, den Spätzünder, den begabten Lyriker; er kann sich ausdrücken, alleine zu den Hirten, die irgendwo in Dotan unterwegs sind. Ich lege das so aus, dass der Jakob Frieden stiften wollte. Joseph stellt sich aber mit seiner Aura wieder so an. Die Brüder sehen Joseph kommen und beschließen, es diesem Träumer einmal zu zeigen, und schmieden einen ziemlich bösen Plan. Ja, einen sehr bösen Plan! Wir haben hier aber auch bei Ruben und Juda sehr interessante Gedanken über das Gute. Sie können sich dann aber nicht durchsetzen. Zunächst sind sie sich einig, dass sie Jakob um die Ecke bringen wollen. Die Brüder verkaufen ihn an die Kaufleute, die vorbeikommen, und freuen sich über die 20 Silberlinge. Dann Joseph hält durch und kommt sehr schnell in den Umkreis des Pharao, das heißt zu seinem Leibwächter. Aber das dauert ein paar Jahre. Zuerst wird er auf dem Markt verkauft. Es wird gesagt, dass er sehr gut aussieht. Als Käufer hatte man wahrscheinlich gerne gut aussehende Sklaven. An einer anderen Stelle kommt dann wieder die berühmte Geschichte mit Potifars Gattin. Joseph erhält also im Haushalt von Potifar eine sehr herausgehobene Stellung. Dann passiert eine wunderbare Geschichte mit der Frau des Potifar. Erzählen Sie doch kurz diese Geschichte! Es kommt ein Feiertag, an dem das ganze Haus leer ist. Sie wird Joseph gegenüber wieder ganz konkret. Er enttäuscht sie aber wiederum. Daraufhin dreht sie die Sache um. Joseph rennt davon. Jetzt verkehrt sie die Sache um 180 Grad. Potifar gibt ihr natürlich Recht, denn er muss sein Gesicht wahren, und Joseph wird eingesperrt. Aber auch im Gefängnis ist Jahwe mit ihm. Es geht ihm dort sofort oder doch zumindest ziemlich schnell gut. Schon wieder erhält er eine bevorzugte Stellung. Wie kann so etwas in einem Gefängnis geschehen? Die Träume sind sehr faszinierend. Ich glaube, jeder Psychologe in unseren Tagen hätte seine Freude daran. Der Mundschenk hat in seinem Traum einen Weinstock mit drei Ranken. Die Summe der Geschichte ist, dass Joseph dem Mundschenk deutet, dass er aus den Trauben der Ranken mit bloßen Händen den Wein herauspressen könne. Es würde ein exquisite Wein, an dem der Pharao seine Freude hätte. Das besagt, dass der Mundschenk wieder Anerkennung fände und davonkomme, dass er wieder in Amt und Würden eingesetzt würde. Die drei Traubenranken stehen für drei Tage. Die Bibel ist voller Zahlenmystik. Joseph hofft, dass der Mundschenk, wenn er wieder zu Ehren gekommen ist, ihm aus dem Gefängnis hilft. Dieser kehrt aber an den Hof des Pharao zurück und vergisst die Geschichte. Es muss ein neuer Traum kommen, um die Geschichte voranzutreiben und dem Joseph seine Chance einzuräumen. Was ist am Hofe des Pharao passiert? Unser Joseph modert im Gefängnis vor sich hin. Dann kommen die Träume des Pharao. Er träumt das natürlich aus der Fülle der Macht heraus. Er ist ein verwöhnter Mann und ist Desaster nicht gewohnt. Heute würden wir das Umweltkatastrophen nennen. Wir bekommen erzählt, dass ganz Ägypten vom Nil lebt und keinerlei Alternative dazu hat. Wenn hier etwas geschieht, dann ist Feierabend. Und nun passiert genau das. Der Pharao träumt, dass sieben wundervoll fette Kühe aus dem Nil heraussteigen und wie nur was gedeihen. Dann kommen sieben furchterregend magere Dinger und diese mageren Kühe verschlucken wie nichts diese fetten Kühe. Das ist ein Riesendrama und es erschreckt ihn. Der Traum wiederholt sich mit sieben fetten Ähren und sieben mageren Ähren. Die Zahl Sieben ist schon seit Abraham sehr deutungsträchtig. Seine ganzen Wahrsager und Sterndeuter können die Träume aber nicht interpretieren. Der Pharao ist dadurch beunruhigt. Da erinnert sich der Mundschenk: “Traum? Traum! Mein Gott, da habe ich doch einmal so einen Spezialisten kennengelernt.” Joseph wird sofort hergeholt und deutet in null Komma nichts die Träume. Und wie interpretiert er die Träume? Das Land Ägypten erlebt eine segensreiche Phase voller Fülle, aber die Ägypter sollten aufpassen, denn nach diesen sieben Jahren der Fülle kommt eine furchtbare, noch nie da gewesene Hungersnot. Die auch wieder sieben Jahre dauern wird. Die Fülle der sieben Jahre soll nicht sofort aufgegessen und verprasst werden, sondern ein Teil davon soll in Speichern aufgehoben werden und die Menschen darauf eingeschworen werden. Dann werden auch die sieben mageren Jahre zu überstehen sein. Joseph regt beim Pharao dann noch an, dass er doch einen Mann ernennen möge, der sich ab sofort darum kümmert. Pharao wird von seinem Traum wirklich umgetrieben und die Deutung von Joseph hat ihn wirklich überzeugt, sodass er sofort den Sieben-Jahres-Plan von Joseph in Kraft setzt. Joseph hat das Problem genial gelöst. Er hat in den fetten Jahren das Getreide eingesammelt und es dann in der Zeit der Hungersnot an die Ägypter verkauft. Er hat es nicht einfach verteilt. Eigentlich ist er auch ein genialer Landreformer. Er hilft dem Pharao, die Zentralgewalt zu stärken, denn die anderen sind immer ärmer geworden. Zuerst mussten sie das Getreide für Geld kaufen, dann mussten sie dafür ihr Vieh eintauschen und schließlich mussten sie auch noch ihr Land hergeben. Der Ruhm Ägyptens verbreitet sich in der ganzen Umgebung. Die anderen Völker hören, dass es dort noch etwas zu holen gibt, und setzen sich nun in Bewegung. Diese Kunde gelangt auch zu Jakob, also nach Kanaan. Mich berührt, dass Joseph im Grunde sehr jung stirbt. Sein Leben scheint doch sehr anstrengend gewesen zu sein. Jakob schickt dann seine ganze Schar von Kindern los, allerdings mit einer Ausnahme. Die Brüder kommen nach Ägypten, treten vor Joseph und sagen: “Wir haben Geld mitgebracht. Verkauf uns Getreide!” Sie erkennen ihn nicht, aber er erkennt seine Brüder. Und in der Tat stellt sich hier die Frage, wieSie schon sagten, warum er nicht sofort gesagt hat: “Endlich seid ihr da! Lasst uns Frieden machen!” Denn Joseph ist ein friedlich gesinnter Mensch. Er prüft sie und behandelt sie doch herablassend? Ich sehe das nicht als Herablassung. Ich sehe es als Ergriffenheit. Die Erinnerung an seine Vergangenheit steigt in ihm hoch: das Elend im Brunnen, in den sie ihn geworfen haben, das entsetzliche erlassensein, der Verkauf und das Verschlepptwerden durch die halbe Welt, das Nicht Wissen, wohin. Das hat er alles seinen Brüdern zu verdanken. Trotzdem tut er ihnen nichts Böses. Joseph hat sicher schwer gelitten. Im Grunde erfüllen sich seine beiden Träume. Seine Brüder werfen sich vor ihn nieder, so wie sich die Ähren vor ihm verneigt haben, und dann die elf Sterne und Sonne und Mond. Hier machen wir einen größeren Sprung. Die Brüder kommen nach Hause und erzählen von ihren aufregenden Erlebnissen: “Der Joseph lebt noch!” Jakob sagt: “Gut, jetzt kann ich in Ruhe sterben! Dass ich das noch erlebe!” Und nicht nur das: Joseph ist auch noch ein supermächtiger Mann. Es droht nun nicht, dass sie verhungern. Denn die Hungersnot dauert ganze sieben Jahre! Sie erzählen, dass alle zusammen mit Kindern und Kindeskindern, Ammen und Nebenfrauen und so weiter eingeladen sind, nach Ägypten zu kommen. Es ist eine aufregende und schöne Szene und sie ziehen dann auch nach Ägypten. Ende der 1980er Jahre haben österreichische Archäologen wohl den Palast des Joseph entdeckt und unter anderem auch das Grab. Man kann daher sagen, dass man damit einen deutlichen Beweis hat, dass er tatsächlich eine historische Figur gewesen ist. Dieser Palast war sicher nicht so groß wie der des Pharao, man kann es sich vielleicht wie eine toskanische Landvilla vorstellen. Dort gab es auch Wohnungen für die beiden Söhne des Joseph…Wir sind am Ende unserer Geschichte. Joseph würde noch viele Texte füllen. Es war schön, ich mich hier zu haben und mit Ihnen darüber reden zu können. Ihnen, liebe Leser, verdanke ich ganz herzlich für Ihr Interesse.( eine Zusammenfassung der mündlichen Übertragung von die Theologin Ruth Lapide)

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