Oase der Kindheit 75

Stanisław Barszczak—Priester Frühling—

Zur Feier des 25. Jahrestages der meine Weihe ich komme noch zurück zu meinen früheren Erfahrungen, über sie wahrscheinlich ich schon oft gesagt habe, aber ich möchte sie in den schönsten Blick auf das Priestertum zu zeigen. Bei mir war es so, dass ich Ingenieurwissenschaften, Physik, studiert habe, weil ich nicht so genau gewusst habe, was ich werden wollte. Ich wollte als Kind und Jugendlicher nämlich Dichter werden, also Gedichte schreiben. Von meiner besorgten Mutter – mein Vater war gefallen – wurde mir aber gesagt, dass man davon nicht leben könne. Deshalb dachte ich mir, ich muss irgendetwas studieren, wovon ich später auch leben kann, weil ich vom Dichten anscheinend nicht werde leben können. Deshalb habe ich dann immerhin allen Bereichen der Wissenschaft studiert, weil ich mir dachte, damit könnte man hinterher ganz viele verschiedene Sachen machen und während des Studiums würde ich dann schon herausfinden, was ich eigentlich machen möchte. Das Ganze ist dann aber einfach so weitergegangen, d. h. ich habe eigentlich immer beides gemacht. Ich habe aber trotzdem mein Studium abgeschlossen und war dann 25 Jahre alt. Das, was mich am Studium wirklich interessiert hat, war schon die Psychotherapie, Philosophie und Theologie gewesen, aber ich dachte mir: “Ich bin dafür noch zu jung, ich habe zu wenig Lebenserfahrung. Und ich weiß sowieso nicht, ob ich überhaupt im Pfarrhaus bleiben will.” Ich bin als Werkstudent, weil ich mir etwas dazuverdienen wollte, in die Kirche gekommen…Damit war ich im eigenem Haus gelandet. Dann endlich saß ich zu Hause Mütter, meines Leben zu beschreiben, ich wurde dort dann entdeckt als jemand, der schreiben kann. Als habe ich angefangen, Artikel zu schreiben, auf Kongresse zu fahren, Titelgeschichten zu schreiben. Ich habe dabei bemerkt, dass man von dieser Art des Schreibens durchaus leben kann… Schließlich begann ich hier meinen Reisen um die Welt. Mir hat nämlich mal ein Angestellter in der Sparkasse (Schreiber an der Theke) in Nice meinen Frank Französisch nicht wechseln wollen. Er meinte zu mir, ich hätte doch gar kein Konto bei ihnen und sollte doch gefälligst zu der Bank gehen, bei der ich ein Konto habe, d.h. sie hat mich nicht mehr als Polen oder gar als Touristen angesehen. Ich war wirklich sehr stolz darauf, dass ich in dieser fremden Sprache so aufgegangen war. Aber ich wollte einfach zu diesem Zeitpunkt nicht in Frankreich bleiben. Das eigene Vaterland, die eigene Muttersprache sind selbstverständlich immer viel stärker mit Emotionen und Konflikten besetzt. Ich fand es daher sehr schön, seit einiger Zeit aus Polen weg und nach Italien zu kommen…Ich war damals in der Generalaudienzen gehalten mit der Anwesenheit des Heiligen Vaters im Vatikan(1996.06.16) und Castel Gandolfo(2003.07.20). Aber Ich war sozusagen halb im Haus und halb in Olsztyn. Das Haus in der Dąbrowa Górnicza war zwar sehr schön, aber auch sehr einfach. Das heißt, wir hatten Strom und Fahrstraße bis zum Haus, wir mussten also nicht alles zu Fuß dorthin tragen. Also bin ich damals zusammen mit meiner Mutter nach Częstochowa gegangen. Deshalb war es dort in meinen Dreißigern sehr angenehm. Wir haben in dieser Zeit in Olsztyn in einer kleinen Wohnung gelebt, die wir im Sommer vermietet haben…Zu Beginn aufgrund der Konflikte und Emotionen von der Jugend durchgeführt wollte ich weit weg von Olsztyn gehen, war auf der Flucht sein, Ząbkowice…Ich wurde als Christ. Wir sind mit dem guten Glauben nicht abweichen weg von Christus. Ausgestattet mit Treu und Glauben, um nicht von Christus verlassen … deinen Nächsten lieben und Gott…Deswegen in meinen Texten Vorgeschichte, aber auch die grosse Biographie des Christens sind…Ich habe ja einen ersten Roman über meine Kindheit in Ząbkowice geschrieben mit Titel “Hortensius”. Darin beschreibe ich meine Lebenssituation als Junge und Kriegshalbwaise mit der Mutter in Ząbkowice. Was hat es für meine Leben bedeutet, ohne Vater aufzuwachsen? Ich bin 1961 geboren, Ihr Vater ist 1978 gefallen, d. h. ich war noch ganz klein, als das passiert ist. Es ist natürlich nur schwer zu sagen, was das insgesamt bedeutet hat, aber als Kind habe ich das nicht so sehr als Verlust oder als mit sehr viel Schmerz verbunden empfunden. Ich konnte das also als Kind ganz gut verdrängen: Das war halt einfach so! Wenn ich Mitschüler beobachtet habe, wenn ich mir später meine Freunde auf dem Gymnasium, die Väter hatten, angeschaut habe, dann war ich manchmal gar nicht so unglücklich darüber, dass ich keinen hatte. Denn diese Väter waren nicht so toll, waren…sogar unmöglich. Erst sehr viel später, als ich dann Priester geworden war, habe ich angefangen, so langsam zu ahnen, was das bedeutet hat. Aber auch als Priester habe ich das am Anfang noch nicht kapiert, erst so allmählich wurde mir klar, wie viel das alles mit dem Krieg der Solidarität in Polen und den Traumatisierungen zu tun hatte. Ich bin also erst während meiner eigenen Analyse dahintergekommen, dass mir da doch viel gefehlt hat. Dieser Mangel an Orientierung und dass meine Mutter immer die letzte Instanz gewesen ist und dass sie alleine war und dass sie natürlich auch oft überfordert war, hat sehr viel ausgemacht…Ich hatte allerdings zwei Onkel, Adalbert und George, die in meiner Kindheit das männliche Element verkörpert haben. Ich hatte auch eine älteren Vetter, Janina und Stanislaw, die für mich sehr wichtig waren. Familien sind ja auch unglaublich flexible Systeme, die auch viel Selbstheilungskräfte entfalten können. Ich denke, das war auch bei uns der Fall. Das hat mich eben auch so interessiert an meiner Kindheit. Meines Buch ist ja eigentlich nur deshalb entstanden, weil ich meiner Mutter immer Geschichten erzählt habe. Wenn wir in Hucisko Nienadowskie waren, so heißt dieses Dorf in der Dubiecko Land, mussten wir immer einmal in der Woche zu Fuß runter ins Kapelle gehen, um einzubetten. Das war doch jedes Mal ein Fußweg von einer Dreiviertelstunde. Ich war damals erst ungefähr elf Jahre alt: Es ist ein wunderbares Mittel, ein Kind am Laufen zu halten, wenn meine Mutter erzählte mir nach der Rückkehr Geschichten. Denn dann vergisst es, dass die Beinchen etwas müde werden. Da habe ich also angefangen, Geschichten aus meiner eigenen Kindheit zu erzählen. Irgendwann habe ich mir gedacht, dass das ja fast schon museal ist. Ich war dann auch im Pfarrhaus, wo ich mir gedacht habe: “Mein Gott, die Schönheit der menschlichen Erfahrung nicht nur mit lebenden Geschichten! Das kennst du auch noch selbst aus eigenem Erleben!” Also habe ich beschlossen, das alles aufzuschreiben. Das war wirklich ein schönes Buch, meine Geschichten von der Jugend, das mir viel Spaß gemacht hat, weil ich viele Dinge erinnert habe, die ich nicht einmal in meiner Priesteranalyse erinnert habe. Diese Dinge sind mir wirklich erst beim Schreiben wieder eingefallen…Zu meiner Liebe zur Natur, zu einer Natur, die ich in meiner Kindheit in Ząbkowice noch ziemlich unverfälscht erlebt habe, will ich am Schluss noch einmal kommen. Jetzt jedoch habt ihr es quasi geschafft, immer noch abzuwarten, bis ich zu meiner Antwort kommen, warum ich den Seelenarbeiter als Beruf gewählt haben. Denn das, was ich erzählt habe, war ja eigentlich nur die Vorgeschichte dazu. Aber im Grunde genommen passt das jetzt genau in den Bericht über meine weitere Biografie hinein. Ich kam 1995 aus Częstochowa nach Ząbkowice zurück und es begann auch für mich die wilden 90er Jahre. “Wilde 90er Jahre” deswegen, weil in diesem Jahrzehnt doch sehr viele Veränderungen stattfanden. Ein ganz wichtiges Stichwort für diese Jahre sind die Religiosen Gruppen. Ich war damals als Priester mit einem Priester Rektor namens Fortunat Nowak bekannt geworden, weil ich über ihn schon geschrieben habe. Er war auch als ein Priester den Vater aus meiner Kindheit. Er ist gestorben im Januar dieses Jahres (2011.01.28)…Es gibt im Leben versteckte Motive. Wir müssen ehrlich zueinander zu unserer Ziel Erfolge, lebendig zu sein. Nun ja, ich denke, dass es einerseits schon auch etwas sehr Kreatives ist, wenn man als junger Mensch sagt: Ich habe beobachtet, wie meine Freunde mit mir umgegangen sind. Das soll bei mir schon schöner und besser sein…Ich habe als Kind so und so viele schmerzliche und kränkende Situationen erlebt, das will ich ebenfalls nicht mehr, das will ich also meinen geistigen Kinder, Kindern Gottes ersparen. Das ist ja ein sehr dynamisches Geschehen, das Menschen beflügelt und weiterträgt. Und das soll ja auch nicht nicht sein, denn gefährlich wird es ja nur dann, wenn der Mut völlig verloren geht, wenn jemand so sehr an diesen Traum gebunden ist, dass er dann, wenn dieser Traum zerbricht, gar keine Kraft mehr hat. Das Geistige-Analytische besteht dann darin, diesen Traum genau anzuschauen und zu sagen: “Ein Teil dieses Traums ist ja realisierbar, ein Teil aber ist illusionär” jemand sagte. Die Kraft sollte also auf das Realisierbare gelenkt werden, um sich nicht in vergeblichem Bemühen zu erschöpfen. Das hat ja etwas mit der Kraft des Unbewussten zu tun: Wie groß ist den die Macht des Unbewussten im Verhältnis zu unserem bewussten Leben? Es ist einfach so, dass das Leben unseren Größenvorstellungen nicht so positiv gesonnen ist. Die Realität ist nie so, wie wir sie uns erträumen. Trotzdem ist sie letztlich das, worauf wir uns verlassen können. Das sieht man ja in vielen Bereichen und das ist auch “Stefan Thema”, das mich immer schon sehr interessiert hat. Ich habe ja schon sehr früh, noch bevor ich Schrifsteller wurde, kritische Geschichten z. B. über die Konsumgesellschaft geschrieben: Hier kann man das ja wirklich sehr gut studieren…Man erfindet immer neue Verleugnungsmechanismen gegenüber der Realität. Manche Menschen hatten jedenfalls den Glauben, die Sache würde immer weiter wachsen, immer noch bessewerden. Irgendwann zerplatzt dann diese Blase und man muss sich mit der Realität auseinandersetzen. Es gibt grosse Ebene der individuellen Psyche immer wieder geschieht: Größenfantasie, Verleugnung der Realität und anschließende harte Landung, wenn diese Größenfantasie eben nicht mehr aufrechtzuerhalten ist, und dann die Schwierigkeiten, sich in diesem Trümmerhaufen neu orientieren zu müssen und den Mut zu entwickeln, weiterzumachen oder etwas Neues aufzubauen, was dann vielleicht ein bisschen stabiler ist als das Vorherige. Es geht aber nicht um sich der Realität anzupassen, ums Anpassen, sondern es geht darum, sich der Realität zu stellen. Wenn das jemand kann, dann würde ich sagen, dass das ein reifer Mensch ist. Noch etwas anderes ist meiner Meinung nach sehr wichtig: Ein reifer Mensch wird niemals denken, dass er perfekt reif ist… Ich verstehe meine Berufung als Mahnwache neben dem Mann, hören auf die aktuellen Beziehungen seines Unglücks.

Leave a comment