Mein Leben 102

Stanislaw Barszczak; Trauen der Wirklichkeit mehr
Ein paar Worte noch einmal zu meinem Privatleben. Ich rede nicht gerne über mein Privatleben, zumindest haben wir das irgendwo so gelesen. Aber eines kann man sagen: Ich stamme aus einer ländlichen Gegend, Ich stamme von einem Bauemhof. Ja, das Städtchen von Ząbkowice habe ich nie verlassen. Ich habe mich neulich mal daran erinnert, dass ich schon sehr früh damit begonnen habe, einen Typ von Lektüre zu praktizieren, der mich eigentlich bis heute habituell begleitet, nämlich das Lesen ohne eine Zeile zu verstehen. Ich habe mit fünfzehn Jahren ein dickes literarische Werk über die Liebe von Maurice Maeterlinck gelesen…Ich habe gerade Epigramme von ihm gelesen. Auf ähnliche Weise habe ich dann an der Schwelle von der Volksschule zum Gymnasium die „Kritik der reinen Verstand“ von Immanuel Kant gelesen. Ich habe das ganze Buch, also alle gut 500 Seiten, von vorne bis hinten durchgelesen: Ich habe fast nichts verstanden, aber ich habe immer weiter gelesen. Częstochowa, Krakau, Sosnowiec: Drei Orte, an den Ich studiert habe. Ich habe Philosophie und Literatur studiert. Ich muss vorab sagen, dass Krakau für mich immer nur eine Art von Zuflucht gewesen ist, ein Asyl. Im Jugendzeit habe ich die Bücher namentlich gesammelt. Das Zentrum der meinen Sammeltätigkeit der Bücher waren also die literarischen Autoren und Dichter. Aber diesen unglaublichen Reichtum, den es hervorgebracht hat, ist es quasi im selben Atemzug auch wieder im Begriff zum Verschwinden zu bringen: ganz einfach durch die Katastrophengeschichte des 20. Jahrhunderts, also durch die Vernichtung, meine Emigration usw. Wir haben das Glück einen sehr namhaften Schrifsteller zu haben…Die Zeitungen der meinen Jugendzeit habe Ich schon erwähnt: Słowo Powszechne, Trybuna Robotnicza, Przekrój, da „Le Monde“ war mal gut. Ich finde es gelegentlich auch hinreißend, was die Kollegen von „Liberation“ machen. Aber schon Mark Twain hat ja die Journalisten heftig gescholten. Dennoch haben die Politiesierung des Feuilletons und die Entwicklung des politischen Feuilletons meiner Meinung nach ganz enorm zum Diskussionsniveau in der öffentlichkeit in Polen in den achtziger und neunziger Jahren beigetragen. Wahrheit und Politik wohnen selten unter einem Dach. Wahrheit und Unwahrheit sind natürlich oft nicht so ganz leicht voneinander zu unterscheiden. Ich bin ja nun schon seit Lengem in der Kirche praktisch tätig: Ich bin seit über 30 Jahren Mitglied des unseren „kirchlichen Parlaments“. In der Motivation eines Kindes liegt ja bereits die halbe Miete, wenn aus dem Kind etwas werden soll. Ich hatte das Glück, als ganz junger Bub mit zehn Jahren einen Klavierlehrer zu haben, der mich unglaublich motiviert hat. Wenn es ein Lehrer fertig bringt, einen Jugendlichen mit 15, 16 Jahren zu motivieren, jeden Tag zwischen fünf und zehn Stunden die Bücher zu lesen. Ich hatte dann wahrlich große Vorbilder wie die Pfarrer der Kirche usw. Ich fing also an, denen nachzueifern und meinte, ich könnte doch auch. Und dann ist man eben auf dieser Bahn und hat dabei ja auch wirklich hervorragende Lehrer. Ich spielte also mit dem Gedanken, auch selbst eine solche Laufbahn einzuschlagen. Aber am Ende des März 1976 Jahres ist dann doch etwas anderes daraus geworden…Nach den großen Ferien war ich selbst auf dem Internat. Im Alter von 17 Jahren habe Ich jedoch meinen Vater verloren. Wie ist der kleine Stasio mit dieser Situation eigentlich klargekommen? In Internat hatte Ich persönlich kennengelernt eine riesengroße Mühle zur Kirche. Ich will Meine Promotion über den von mir bereits erwähnten Emmanuel Levinas machen. Was habe mir an Levinas so fasziniert, dass Ich so viel Zeit in eine Doktorarbeit über ihn investieren? Na, seine Texte und sein Zugriff auf das historische Material! Seine Texte lagen zum großen Teil auf Deutsch noch gar nicht vor. Natürlich gab und gibt es einige Autoren, die toll schrieben bzw. Schreiben oder sehr stark begriffsprägende Potenzen hatten wie z.B. Reinhart Koselleck oder Christian Meier. Natürlich hat es auch das immer gegeben in Deutschland, aber es hat uns darüber hinaus doch etwas gefehlt in der hiesigen geisteswissenschaftlichen Landschaft. Ich will mich an der Universität in Krakau habilitieren. Ich wollte Professor immer werden. Nur bin Ich einer. Ich besitze bereits nicht die Nachtlässe von meiner Familie. Es ist eine grosse Freude für mich, wenn ich so an meine Heimat erinnert werde. Ich bin so alt wie der Präsident der Verreinigen Städte von Nordamerika, also in den ersten Friedenstagen geboren. Aufgewachsen bin ich dann im Dorf auf der Gospodarcza Strasse, wo meine Mutter mit mir alleine gelebt hat. Meine Mutter hatte, wenn ich das richtig nachgelesen habe, eine sehr ordentliche Anstellung in einem Fabrik des Kristallglas. Diesen Beruf gab sie aber auf, um mehr Zeit für Sie zu haben, und hat dann als Trägerin des Glass gearbeitet. Daher rührt vielleicht auch die ganz besondere Nähe, die ich zu meiner Mutter immer gehabt habe: Sie war, wie viele Tausende andere damals, eine alleinerziehende Mutter in dieser Jugenszeit. Sie hat sich sehr um mich gekümmert und war nicht nur Handarbeits-,sondern auch Kochlehrerin…Wir hatten also durchaus auch Beziehungen zum guten Leben. Ich selbst bin daher ein typischer Schlesier (in Tarnowskie Góry geboren), das bedeutet, ich bin eine gute Mischung: Mein Grossvater war an der Aussenfront der österreichisch-ungarischen Monarchie stationiert gewesen. Mein Vater wurde daher in der Nähe von Kalwaria Zebrzydowska bewohnen. Ich würde hier gerne eine kleine inhaltliche Zäsur machen, um unseren Zuschauern den Menschen näher vorstellen zu können. Wer über mich und meinen gesamten Werdegang mehr wissen möchte, kann das alles wunderbar nachlesen in meinem Buch, das ich nun gerne vorstellen würde und das den Titel trägt „Der Freund liebt in jeder Zeit“. Für mich ist das eine enorm bereichemde und feeselnde Lektüre. Mein Vater war Professor und hat die Familie relativ früh verlassen. Ich bin in Tarnowskie Góry geboren. Daher hat mich auch immer schon dieses grössere Schlesien interessiert. Das war nämlich etwas, das wir bei uns in schlesich jahre-und jahrentelang verdrängt haben. In bin also in Częstochowa aufgewachsen und habe das Gymnasium besucht. Dieses Gymnasium in der Nähe von Kloster „Jasna Góra“ war in der Tat eine sehr gute Schule. Danach habe ich studiert ebenfalls in Krakau. Mein Freund ist Direktor im Haus der Spiritualität in Olsztyn in der Nähe von Częstochowa. Ich stelle ihm die Frage an. Wie kam es dazu, dass Sie dort Director geworden sind? Und jetz stutze ich, um den korekten Titel zu finden, weil Sie ja Ihr Museum, Ihre Gedenkstätte, Ihr Spiritualiätarchiv umbenannt haben. Ich bin ohne Antwort. Er hat lediglich gesagt in seiner Rede, schreibst du! Das war eines der letzten Ihnen großen Stücke. Ich will schreiben ganz einfach unterhaltsam, aber ich schreibe gelegentlich höchst spannend.
Die Beduinen in der Heimat Abraham erzählen sich eine Legende, die uns zu denken gibt. Ich habe diese Legende als die Predigt gelesen. Ein Mann verirrte sich in der Wüste. Er irrte umher, bis ihn die umbarmherzige Sonnenglut ausgedorrt hatte. Da sah er in einiger Entfernung eine Oase. „Aha, eine Fata Morgana“, dachte er, „eine Luftspiegelung, die mich narrt! In Wirklichkeit ist da gar nichts.“ Er näherte sich der Oase. Sie verschwand nicht. Er sah immer deutlicher die Dattelpalmen, das Gras und vor allem die Quelle. „Natürlich eine Hungerphantasie, die mir mein Gehirn vorgaukelt! Jetzt höre ich sogar das Wasser sprudeln. Eine Halluzination!“ Kurze Zeit später fanden ihn zwei Beduinen. Er war tot. „Kannst du so etwas verstehen?“ sagte der eine zum andern, „die Datteln wachsen ihm beinahe in den Mund, das Wasser ist zum Trinken nahe, und er liegt verhungert und verdurstet daneben. Wie ist das möglich?“ Da antwortete der andere:“Er war ein moderner Mensch.“ Sind wir nicht dieser „moderne Mensch“? Ich meine: Sind wir nicht alle vom BewuSstsein dieses Wüstenwanderers geprägt? Dieses Bewusstsein umgibt uns. Wir leben darin. Heute tut sich uns die Welt auf. Aber wir schauen sie nicht mit unseren Augen an, sondern durch den Fotoapparat, durch die Fernsehlinse, vor allen durch die Instrumente des Labors. Wir sehen immer weniger, wie sie ist, sondern wie sie im Experiment sein muss, ja, wie sie nach unseren Vorstellungen sein soll. Die Wissenschaft nimmt die Welt nicht mehr entgegen. Sie will sie entwerfen. Dieses Bewusstsein durchdringt uns bis ins Persönliche, Menschliche hinein. Können wir noch etwas normal annehmen, ohne es zu hinterfragen? Wird nicht alles der öffentlichen Kritik unterzogen und vom Stuhl der Vernunft aus herabgewürdigt, auch das Schönste, auch das Heiligste?Hier äussert sich, was die Legende sagen will: Der „moderne Mensch“ traut der Wirklichkeit nicht mehr. Er traut nur noch sich selbst und seinen Planspielen. Er will sichergehen.
“Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht/…/Vater, ich habe mich gegen den Himmel und gegen dich versündigt; ich bin nicht mehr wert, dein Sohn zu sein.” Die Liebe Christi alle Erkenntnis übersteigt. “Aber jetzt müssen wir uns doch freuen und ein Fest feiern; denn dein Bruder war tot und lebt wieder; er war verloren und ist wieder gefunden worden.” Jesus Christus, der den Jüngern seine Herrlichkeit offenbarte, wollen wir bitten: Schenke allen, die du an deinen Tisch geladen hast, eine tiefe Erfahrung deiner Gegenwart. Wecke in allen, die sich von dir abgewandt haben, das Verlangen, dich zu suchen. Tröste die Verzagten, und stärke die Schwachen. Sende uns dein Licht, dass wir als Kinder des Lichtes leben. Papst Paul VI. hat wohl selbst einmal gesagt: “Das entscheidende Hindernis für die Einheit der Kirchen ist der Papst!” Das ist ja das eigentliche Paradox: dass das Papst-Amt, das für die Einheit der Kirche da ist, heute faktisch, wie das Paul VI. gesagt hat und wie das auch der jetzige Papst sagt, zu dem großen Hemmschuh geworden ist. Wir müssen das sozusagen in der eigenen Kirche zuerst einmal paradigmatisch vorführen, damit es für die anderen überzeugend wird. Denn sonst glauben sie es ja nicht. Worte genügen da einfach nicht, Worte genügen nie im ökumenischen Gespräch: Man muss auch etwas tun! Und der gegenwärtige Papst hat ja auch sehr oft gesagt: “Es gibt keine Ökumene ohne Bekehrung und ohne Reform! Und die Bekehrung und die Reform fängt immer bei uns selbst an und nicht bei den anderen.” Es gibt sehr viele Bischöfe, die, wenn sie bei Bischofskonferenzen nach Rom zu Ad Limina-Besuchen kommen, hinterher sagen: “Das Beste an der ganzen Kurie ist der Papst!”(W.Kasper)
cdn

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